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Oft reicht schon das Betrachten eines Gähn-Bildes für die Ansteckung, wie an dieser Aufnahme des 14. Dalai Lama vom Juni 2017 überprüft werden kann.

Foto: Reuters/MIKE BLAKE

Nottingham – Das Gähnen gibt noch immer Rätsel auf, vor allem, warum es bei so vielen Säugetieren (Homo sapiens inklusive) ansteckend ist. Einer neuen Studie von britischen Forschern im Fachblatt "Current Biology" zufolge ist die Ansteckung so gut wie unwiderstehlich und lässt sich kaum bewusst unterdrücken. Sie hatten 36 Probanden vor einen Bildschirm gesetzt und ihnen Videos gähnender Menschen gezeigt. Einer Gruppe wurde das Mit-Gähnen erlaubt, der anderen nicht.

Das Ergebnis: Die Probanden, die ihrem Drang nicht nachgehen sollten, gähnten fast genauso oft – wenn auch eher in einer unterdrückten Form. Ihr gefühltes Bedürfnis mitzugähnen war sogar höher als bei jenen Studienteilnehmern, die dem Gähnen freien Lauf lassen durften.

Erregbarkeit der Großhirnrinde

Die Forscher um Beverley Brown von der Universität Nottingham nahmen während des Experiments auch das Gehirn der Probanden unter die Lupe. Dabei stellten sie mit Hilfe von sogenannter Transkranieller Magnetstimulation (TMS) fest, dass die Ansteckungsgefahr auch von der Erregbarkeit eines Teils der Großhirnrinde abhängt. Der sogenannte Motorkortex steuert absichtliche Bewegungen.

Die Forscher hoffen, dass die Ergebnisse auch zur Erforschung von Krankheiten beitragen könnten: Ansteckendes Gähnen ist ein sogenanntes Echophänomen. Bei bestimmten Erkrankungen wie Epilepsie, Demenz, Autismus oder dem Tourette-Syndrom spielten ebenfalls Echophänomene eine Rolle, so die Wissenschafter. Auch bei diesen Krankheiten wurde ein Zusammenhang mit der Erregbarkeit der Großhirnrinde hergestellt.

"Wenn wir verstehen können, wie Veränderungen der Erregbarkeit der Großhirnrinde neuronale Störungen verursachen, können wir diese möglicherweise rückgängig machen. Wir suchen nach medikamentenfreien Methoden, die auf den Einzelfall abgestimmt sind. Mit der TMS könnten wir Ungleichgewichte bei den Gehirnfunktionen regulieren", sagte Studienautor Stephen Jackson.

Zweckloser Widerstand

Ulrich Hegerl, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig, beschäftigt sich in Deutschland mit dem Gähnen. Auch er vermutet einen Zusammenhang zwischen dem Gähnen und bestimmten Krankheiten: "Wir beobachten zum Beispiel, dass Menschen mit Depressionen nicht oder weniger Gähnen als Gesunde und nach Einnahme von Antidepressiva vermehrt Gähnen", so Hegerl, der nicht an der britischen Studie beteiligt war.

Dies könne dadurch bedingt sein, dass depressive Menschen unter einer hohen inneren Anspannung leiden, während Gähnen eher in Zusammenhang mit Schläfrigkeit auftritt. Insgesamt, so der Mediziner, sei noch nicht geklärt, warum und wozu Menschen gähnen. Der Einfluss weiterer Hirnregionen auf das Phänomen müsse noch untersucht werden. "Das Gehirn von Menschen arbeitet unterschiedlich, je nachdem, ob man aktiv-angespannt, ruhig und entspannt oder dösig ist."

In diesen verschiedenen Zuständen dürfte Gähnen unterschiedlich ansteckend wirken. Dass der Gähndruck laut der Studie größer wird, sobald er unterdrückt werden soll, hält der Mediziner für eine recht allgemeine Feststellung: "Wenn man Widerstand leistet und versucht, einen Drang zu unterdrücken, dann wird dieser erst richtig spürbar." (APA, red, 4.9.2017)