Die Vorgangsweise des Rechtspopulisten Viktor Orbán erinnert an die Methoden der Scheibenputzer, die an manchen Ampeln osteuropäischer Städte ihrem nervenden Geschäft nachgehen. Ungefragt klatschen sie dem bei Rot wartenden Autofahrer einen mit schmutzigem Wasser getränkten Lappen über die Windschutzscheibe, reiben ein paar Mal herum und verlangen ein "Trinkgeld" als Lohn.

Ungefragt hat Orbán im Herbst 2015 mitten in Europa stacheldrahtbewehrte Zaun-Monstren an den Südgrenzen seines Landes hinstellen lassen. Die Wirkung der sündteuren Anlage ist minimal. Nicht Orbáns Zaun hat die Wanderungsdynamik der Flüchtlinge auf der Balkanroute gebrochen, sondern vor allem die Diplomatie der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das "Problem" ist heute weitgehend an die Türkei ausgelagert.

Trotzdem präsentiert Orbán nun wie ein Scheibenputzer-Bub der EU die Rechnung. 400 Millionen Euro, die Hälfte der angeblichen Kosten für seinen Zaun, will er zurückhaben. Die EU-Kommission wird die hanebüchene Forderung ignorieren. Orbán weiß das, aber darum geht es nicht. Ihm geht es um den von Fakten losgelösten propagandistischen Schaum, um den künstlichen Theaterdonner und um das Fortschreiben des Opfermythos: Wir Ungarn bluten uns für den Zaun aus, und "Brüssel" will nicht einmal die Hälfte davon zahlen. So funktioniert Populismus, und so funktioniert das Orbán-System. (Gregor Mayer, 1.9.2017)