Bernadette Graf ist für ihre Klasse noch ein Leichtgewicht.

Oliver Sellner

Budapest – Bernadette Graf freut sich. "Ich kann eigentlich essen, wann es mich gelüstet", sagt sie. Wobei sie natürlich trotzdem aufpassen muss, "nicht einfach sinnlos hineinstopfen" darf. Profisportlerin bleibt Profisportlerin. Aber das Herunterhungern, das "Gewicht machen", das Schwitzen auf dem Ergometer, um die letzten Milliliter Wasser loszuwerden, um bei der Abwaage am Vorabend des Wettkampftages unter der Gewichtsgrenze zu sein, all das bleibt ihr derzeit erspart.

Vor dem Kampf normal zu essen ist ein ungewöhnlicher Segen für eine Judoka, Gewicht machen gehört normalerweise zu dem Sport wie der Gürtel oder die japanischen Fachbegriffe. Graf darf essen, denn Graf hat Klasse gewechselt.

Verletzung und Wiedereinstieg

Bei Olympia 2016 wurde sie noch bis 70kg Fünfte, danach wurden ein schon in Rio akuter Muskelriss in der Schulter sowie ein Bänderriss im Knöchel operiert. Überlegungen über einen Wechsel in die Klasse bis 78kg gab es schon "in den letzten Jahren, weil da die Dichte nicht so hoch ist". Nach der monatelangen Verletzungspause galt: "Probieren wir es mal. Die Olympia-Quali hat nicht angefangen, da kann man ja riskieren", erzählt Graf dem STANDARD.

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Foto: Reuters/Lucy Nicholson

Also nach der Reha normal weitertrainieren, kein expliziter Kraftaufbau – und auch kein Substanzabbau vor den Wettkämpfen. Die Idee dahinter: "Wieder frei von der Leber weg auf der Matte stehen, ohne irgendwelche Sorgen." Erstmals geschah das im April bei den European Open in Bukarest, Graf holte mit einem Sieg gegen die Olympia-Zweite Audrey Tcheumeo Gold. Zweiter Bewerb, Grand Prix in Hohhot (China), wieder Gold. "Damit hätte ich nicht gerechnet", gesteht Graf. Sie blieb für die WM bei -78kg, wiegt aber unter 75kg.

Unbekannt

Mit nur zwei Turnierteilnahmen ist sie in ihrer neuen Klasse quasi die große, noch-nicht-ganz-so-schwere Unbekannte. "Ich bin ungesetzt. Dadurch, dass die Gegner neu und ein bisschen schwerer sind, habe ich eigentlich keinen Druck", sagt Graf. Es sei "fein, mal gegen jemanden zu kämpfen, wo du überhaupt keine Ahnung hast." Wobei das freilich relativ ist, die 25-Jährige weiß, ob ihre Gegnerinnen "Links- oder Rechtskämpfer sind, was die Techniken sind". Auf drei, vier Kontrahentinnen habe sie sich gezielt vorbereitet. Und die Tirolerin macht sich nichts vor: "Das Ziel ist natürlich eine Medaille. Das ist eh klar."

Oliver Sellner

Bleibt Graf den -78kg nun treu? "Schwer zu sagen. Bis 78 fehlt noch einiges, es muss Muskelmasse dazu. Das geht nicht von heute auf morgen." Spätestens bis zum Ende des Jahres will die Heeresportlerin "fix entscheiden", in welcher Klasse sie die Olympia-Quali in Angriff nimmt. "Wenn es dann eine langfristige Entscheidung ist, wird dann Kraftaufbau entstehen, die Ernährung ein bisschen umgestellt", sagt sie. Und dann wird auch wieder gehungert. (Martin Schauhuber aus Budapest, 31.8.2017)