Innsbruck – Drinnen warten gut 500 Interessierte, Fans und Parteigenossen auf den roten Hoffnungsträger. Draußen protestieren vier Kommunisten gegen ebendiesen. Bundeskanzler Christian Kern ist in Tirol zu Besuch. Zum Abschluss der Wahlkampfvisite im Westen – neben dem obligatorischen Alpbach-Abstecher zeigte sich der Kanzler bei Betriebs- und Würstelstandbesuchen volksnah – lädt die Partei am Mittwochabend in die Innsbrucker Messehalle. Die große Rede steht auf dem Programm.
"Danke, dass du uns mitreißt"
Die marode Tiroler SPÖ hofft auf den Kern-Effekt. "Danke, dass du uns mitreißt", sagt Selma Yildirim, Tiroler Spitzenkandidatin für die Nationalratswahl, bei der Anmoderation für den Star des Abends. Und tatsächlich, Kern wird schon beim Betreten des Saales mit Jubel und Standing Ovations begrüßt. Begeisterung, die man unter den Genossen im Bundesland nicht oft erlebt. Bei der Landtagswahl 2013 errang die SPÖ in Tirol 13,72 Prozent der Stimmen, bei der Nationalratswahl im selben Jahr 18,29 Prozent.
Im Publikum ist die Erwartungshaltung groß. Günther Zechberger bezeichnet sich selbst als Altlinken. Sein SPÖ-Parteibuch hat er zurückgegeben, nachdem Kanzler Werner Faymann seinen Kurs in Sachen Flüchtlingspolitik verschärft hatte. Am 15. Oktober werde er aber wieder Kern wählen. Auch wenn ihm nicht gefalle, dass der Kanzler unverhohlen nach rechts schiele und "den Verteidigungsminister so pusht", ist der 66-jährige von seinen rhetorischen Fähigkeiten angetan.
Lustige Anekdoten aus dem Leben des Kanzlers
Und die legt Kern auch in der Innsbrucker Messehalle wieder an den Tag. Geschickt mischt er seine Inhalte in lockere Anekdoten. Fakten werden in homöopathischen Dosen serviert, wann immer möglich garniert mit Emotionen. Die eigene Rolle als zeitweiser Alleinerzieher darf da ebenso wenig fehlen wie die Volksschullehrerin, die ihm einst das Gymnasium versagen wollte und die kürzlich reumütig mit einem Kuchen in seinem Büro aufgetaucht sei. Der Kanzler und ehemalige Topmanager gibt den kleinen Mann. Er wisse, wo er herkomme, sagt Kern. Er sei der Erste in seiner Familie gewesen, der maturiert und studiert habe.
Wenn der Kanzler auf den politischen Gegner hinschlägt, schwächt er die Verbalattacken stets mit einem Scherz ab. So habe die schwarz-blaue Koalition dereinst tatsächlich Jobs geschaffen. Und zwar für Richter und Staatsanwälte. Konkurrent Sebastian Kurz und die Jugendorganisation seiner ÖVP werden als die "Vertreter von Jung und Schön" gescholten, die verhindern wollen, dass der Aufschwung bei den kleinen Leuten ankomme. Während er selbst verspricht, kategorisch keine Großspenden anzunehmen, kreidet er genau dies dem politischen Gegner an: "Ich will nur einer Gruppe Menschen verpflichtet sein. Ihnen, nicht denen mit den dicken Geldbörsen."
Aufschwung für alle
Kern versucht in seinen Botschaften positiv zu bleiben, beschwört immer wieder den Aufschwung. Und er verspricht viel. 200.000 neue Arbeitsplätze werde er schaffen. Wie? Indem er den Aufschwung nutze, 65.000 Jobs seien allein schon in den vergangenen zwölf Monaten dazugekommen. Und genau darum gehe es in der Politik: "Wer setzt sich durch? Wer nutzt den Aufschwung?" Der Aufschwung zeige auch, dass die Wirtschaft wieder Vertrauen in den Standort Österreich habe. Dieser Aufschwung sei es, den er mit seinem vieldiskutierten Wahlkampfslogan "Holen Sie sich, was Ihnen zusteht" meine. Er werde nämlich dafür sorgen, dass der Aufschwung bei den Menschen ankommt.
Im Publikum gibt es auch kritische Zuhörerinnen wie Dagmar Fleischanderl. Die 47-jährige ist "eigentlich Grünwählerin". Aber ihre Tochter sei von den Sozialdemokraten und Kern recht angetan, daher habe die Mutter sie zum Kanzlerauftritt begleitet. "Er wirkt sehr kompetent", sagt Fleischanderl. Doch inhaltlich leide die Sozialdemokratie unter ihm in manchen Punkten. Sie meint damit das Flüchtlingsthema und Kerns Öffnung hin zur FPÖ. Ihre Wahlentscheidung werde sie erst kurz vor dem 15. Oktober treffen, doch ihre Präferenz bleibe vorerst bei den Grünen.
Das Flüchtlingsthema umschifft Kern bis zum Schluss seiner Rede geschickt. Er streift nur gelegentlich daran an. Als er etwa davon erzählt, dass er bei seiner Tour durch die Bundesländer immer wieder zu hören bekomme, dass die Menschen Angst vor den Zuwanderern hätten. Auch wenn dies unbegründet sei, müsse man diese Ängste ernst nehmen. Kern erntet dafür Szenenapplaus. Daher werde er für mehr Personal beim Heer und der Polizei sorgen. Die Menschen würden sich das erwarten, um sich auf der Straße wieder sicher zu fühlen. Kern verspricht 2.500 zusätzliche Posten bei der Polizei.
Solidarische Gesellschaft steht auf dem Spiel
Zum Abschluss betont er, dass man sich mit dem Thema Migration in Österreich intensiv auseinandersetzen müsse. "Wir waren in den letzten Jahren bereit, bis an die Grenzen unserer Möglichkeiten zu helfen". Aber die Flüchtlingskrise werde weiter andauern, und Österreich könne nicht über seine Grenzen hinaus helfen. Die solidarische Gesellschaft stehe dabei auf dem Spiel. Kern plädiert für sorgsame Hilfe mit Augenmaß. Und er verspricht, "illegale sowie Wirtschaftsmigration auf null" zu senken. Wer hier leben wolle, der müsse sich an die Spielregeln halten: Deutsch als Sprache, Frauen sind in allen Lebensbereichen gleichgestellt und Religion hat nichts in der Politik verloren. "Wer sich nicht an diese Regeln hält, hat in diesem Land keine Zukunft", zeigt der Kanzler am Ende die starke Hand.
Nach seiner Rede steht Kern bei Würstel und Bier den Genossen noch kurz Rede und Antwort. Einige nutzen die Gelegenheit, um ein Selfie mit dem Kanzler zu machen oder ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Die Stimmung ist gut, Christian Kern hat die Erwartungen erfüllt. Vielleicht waren sie auch nicht allzu hoch. (Steffen Arora, 30.8.2017)