In Mekka wird rund um die große Moschee viel gebaut. Manche sehen saudische Gigantomanie darin, das Königshaus beteuert, nur im Dienst der Pilger zu stehen.

Foto: APA/AFP/KARIM SAHIB

Pilger am Berg Arafat

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Einer der größten Flughäfen der Welt befindet sich in einem nicht sehr dicht besiedelten Land, das normalerweise höchstens Fremdarbeiter aus Asien in größeren Mengen ansteuern. Aber einmal im Jahr landen im Fünfminutentakt Riesenflugzeuge auf dem King Abdulaziz Airport in Jeddah, Saudi-Arabien. Ihre Passagiere werden zu einem eigenen Hajj-Terminal gebracht: Nach Mekka, wo die alljährliche Pilgerfahrt begonnen hat, ist es nur etwa hundert Kilometer.

Die Hajj war noch vor wenigen Jahren einer der seltenen Anlässe, von außen auf Saudi-Arabien zu schauen. Das hat sich geändert, auch der Blick auf die Pilger: Zur sozusagen ethnologischen Faszination hat sich bei vielen die Angst vor dem Islam gesellt. Saudi-Arabien, früher ohne Sympathie, aber mit Schulterzucken abgetan, ist heute für viele im Westen die eindeutige Brutstätte von islamischem Obskurantismus und, schlimmer, des islamistischen Terrorismus.

Es ist eine seltsame Ungleichzeitigkeit: Noch nie zuvor hat es im 1932 von Abdulaziz Ibn Saud gegründeten Königreich eine derart kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Tradition und Moderne gegeben wie heute. Der 31-jährige Kronprinz Mohammed bin Salman – der seinen Vater bald ablösen könnte -, sagt in Interviews sinngemäß, dass es an den Bürgern und Bürgerinnen Saudi-Arabiens sei, die Reformgrenzen zu setzen. Gemeint ist: "Ich bin für alles offen."

Das Thema Frau und Auto

Das stimmt natürlich nicht ganz. MbS, wie er genannt wird, meint vielleicht Dinge wie die Erlaubnis für Frauen, ein Auto zu lenken. Auf die Idee, ihm eine konstitutionelle Monarchie als Staatsform vorzuschlagen, sollte man als saudi-arabischer Bürger besser nicht kommen.

Etwas differenzierter ist jedoch ausgerechnet die Debatte über das Verhältnis zwischen Staat und Religion. Saudi-Arabien, das ist ja die Geschichte der Verschmelzung einer politischen und einer religiösen Familie, den Sauds und den Nachkommen des salafistischen Predigers Mohammed Ibn Abdulwahhab (von dessen Namen die Fremdbezeichnung Wahhabismus für den Salafismus Saudi-Arabiens abgeleitet ist).

Religion hinter sich lassen

Es ist ganz typisch für Angehörige jener Elite, die, wenn sie ins Flugzeug ins Ausland steigt, die Religion hinter sich lässt, dass sie dem religiösen Establishment alle Rückständigkeiten anlasten. Manchmal ist das auch mit der Forderung verbunden, die Königsfamilie müsse sich endlich aus der Umarmung des religiösen Establishments befreien.

So einfach ist das jedoch nicht, denn die Familie Saud hat ja von den Religiösen über die Dezennien auch etwas Wichtiges bekommen: Legitimität, gerade jene, die sie als Hüter der Heiligen Stätten – siehe Hajj – vor der islamischen Welt braucht. Es wäre auch völlig verkehrt, sich Saudi-Arabien als Land vorzustellen, wo die Bevölkerung unisono unter den strengen religiösen Regeln ächzt. Ein Teil des Dissenses kommt von gesellschaftlichen Kräften, denen es nicht zu islamisch, sondern nicht islamisch genug ist.

Alles Böse kommt von außen

Es ist jedoch auffällig, dass Vertreter der neuen dynamischen Führungsschicht – etwa der neue Informations- und Kulturminister Awwad al-Awwad – ein neues Narrativ für Saudi-Arabien forcieren, in dem der Islam von der Politik getrennt steht. Und die Radikalisierung des Islam wird als etwas dargestellt, dass nur von außen, nicht von innen kam. Von den ägyptischen Muslimbrüdern, vom negativen Einfluss der Politisierung der Schiiten, von Katar, das mit beiden Kontakte pflegt und deshalb isoliert werden muss.

Saudi-Arabien gehört demnach zu den Guten: Das war während des Kalten Kriegs so, als Riad ein wichtiger Verbündeter gegen den Kommunismus war – und ist es heute wieder, mit US-Präsident Donald Trump, der die saudische Selbstsicht stützt, nicht Wegbereiter, sondern Speerspitze gegen den Radikalismus à la Al-Kaida und IS zu sein.

Achse auch inklusive Israel

Das ist die Voraussetzung für die gemeinsame Achse – auf der auch Israel Platz hat – gegen den Iran. Saudi-Arabien, unter der Führung von alten, kranken Königen, habe dem hegemonialen Streben Teherans viel zu lange zugesehen, das ist die neue aggressive Außenpolitiklinie.

In sein neues Image, weltweit verbreitet durch PR-Firmen, investiert Saudi-Arabien viele Millionen Dollar: Einen Meinungsumschwung beim westlichen Publikum konnten diese jedoch noch nicht bewirken. Die kleinen Schritte, die in Saudi-Arabien tatsächlich gemacht werden – etwa eine entstehende Unterhaltungsindustrie, die sich über das Murren der alten Bärtigen hinwegsetzt -, beeindrucken im Ausland niemand. Dort starrt man weiter gebannt auf Mekka. (Gudrun Harrer, 31.8.2017)