"The Terrazzo Project". Schon der Name verrät: Hier geht es um nichts weniger als die Rehabilitierung eines lange verachteten Baustoffs. Der Designer Stéphane Halmaï-Voisard hat den Namen mit Bedacht gewählt: "Terrazzo ist zu schade, um nur auf viel beanspruchten Flächen verbaut zu werden", sagt der Kanadier. Nach seinem Studium gründete er das Terrazzo Project in Lausanne. Mittlerweile stellt er beachtliche Möbel aus Terrazzo her. "Jeder kennt Terrazzo vom Sehen, aber kaum jemand seinen Namen – und noch weniger Menschen wissen, wie er hergestellt wird."

Gesprenkelt, nicht gestreift, und das in allen möglichen Produktbereichen. Hier: Lampen von Bentu Design.
Foto: Bentu Design

Den mosaikartigen Belag gibt es seit dem 15. Jahrhundert. Der Legende nach kamen venezianische Bauherren auf die Idee, statt großflächiger Marmorscheiben Reste zu verwenden, die sie mit Ton mischten und auf den Boden gossen. Anschließend schliffen und polierten sie die Fläche, bis ein mosaikartiger Belag entstand. Das war nicht nur billiger, es sah auch gut aus.

So gut, dass irgendwann viele weitere sogenannte "Zuschlagstoffe" dazukamen: Kalkstein, Dolomit, Granitsplitt, Glas, sogar Metall. Die Venezianer waren aber nicht die Ersten: Wahrscheinlich gab es Terrazzo schon in der Antike. Auch in kleinen Grenzposten der Römer hat man Terrazzoboden gefunden.

Unbestritten ist, dass der Terrazzoboden im deutschsprachigen Raum seine große Blüte zur Gründerzeit erlebte und sich im 20. Jahrhundert immer weiter ausbreitete, weil er nicht nur ansehnlich, sondern auch günstig, ausdauernd, wärmeleitend und belastbar war und ist. Er ist – da gibt es ein schönes Wort – "gebrauchstauglicher" als andere Böden.

Selbst 100 Jahre alter Terrazzoboden sieht heute, abgeschliffen und poliert, wie neu aus. Kaum verwunderlich, dass auch nach dem Krieg alles mit Terrazzo wiederaufgebaut wurde: mit noch günstigeren, industriell vorgefertigten Terrazzoplatten. Doch mit der Massenproduktion kam auch sein Niedergang. Einst schick, war er bald als schäbig verschrien.

Glas trifft Stein

"Dabei ist Terrazzo ein subtiles, ästhetisches Material", sagt Stéphane Halmaï-Voisard. "Die vielen Farb- und Materialvariationen, diese ihm innewohnende Wärme ist es, die Acrylsteinen wie Corian oder anderen terrazzoähnlichen Oberflächen fehlt." Halmaï-Voisard nutzt nicht nur Stein, sondern auch venezianisches Muranoglas.

Als er 2011 mit einem kleinen Familienunternehmen im Veneto anfing, anderen, frischen Terrazzo herzustellen, glaubten wenige an seinen Erfolg. Heute arbeitet er mit Betrieben in Spanien, Italien und der Schweiz zusammen. "Es war nicht so leicht, die richtigen Leute zu finden. Aber wir wussten, dass es an der Zeit war, Terrazzo im zeitgenössischen Design neu zu etablieren."

Die Kehrtwende hatte sich zuletzt immer deutlicher abgezeichnet. Designer wie Architekten sind fasziniert von der unbändigen Natur dieses menschengemachten Materials. Gerade Modemarken, deren Klientel oft jung und stilbildend ist, griffen den Terrazzo-Trend in den vergangenen Jahren auf. Das japanisch-französische Maison Kitsuné ließ sich in Paris einen ganzen Flagshipstore aus Terrazzo bauen – und brachte die Kollektion mit der Inneneinrichtung auf Linie.

Hinter dem Muster steckte der britische Designer Max Lamb, der industriell gefertigten Marmor aus Steinresten herstellt. Lamb nutzt verschiedene Arten von Marmor, die aus Brüchen rings um Verona stammen – den grünen Verde Alpi, den ockergelben Giallo Mori und den roten Rosso Verona (der das Stadtbild Veronas bis heute prägt), die er vor schwarzen Grigio Carnico oder weißen Bianco Verona setzt, der einen besseren Kontrast bietet als seine berühmten Geschwister Carrara and Botticino.

Von oben: Tisch von Schoenstaub × Terrazzo Project; Vase und Regal für dzek; Pullover von Maison Kitsuné; Teppich von Schoenstaub × Terrazzo Project; Schalen von Sevak Zargarian.
Fotos: Terrazzo Project; Schoenstaub; Sasa Stucin; Frank Hülsbörner; Maison Kitsuné; Yeshen Venema

Design aus Restmüll

Seinen Terrazzo nennt er "Marmoreal". Weil der aus 95 Prozent Marmor und fünf Prozent Polyesterharz besteht, ist der Stein stärker, weniger porös und haltbarer als natürlicher Marmor, kann aber gleichermaßen geschnitten und bearbeitet werden. "Marmoreal ist eine Materialstudie, die die Qualität der einzelnen Steine hervorhebt", sagt Max Lamb. "Gleichzeitig zeigt es, dass sie sich in ihrer Summe zu einem noch schöneren Bild zusammensetzen."

Marmoreal kommt auf einen Quadratmeterpreis von rund 400 Euro. Zum Vergleich: Vor Ort gegossener Terrazzo kostet gut 300 Euro je Quadratmeter, ansehnliche Platten zwischen 80 und mehreren Tausend Euro.

Dass es auch günstiger geht und immer noch umweltfreundlich, will ein Designstudio aus dem chinesischen Shenzhen beweisen. Bentu Design stellt Lampen, Tische und Regale aus Terrazzo her. Das Ausgangsmaterial kaufen sie in Foshan, der Welthauptstadt der Keramik.

Unzählige Marken lassen hier produzieren – und jedes Jahr landen gut vier Millionen Tonnen Restmüll auf der Straße. Der wird oft in kleinen Dörfern verscharrt. "Weil die Entsorgung von Keramik so teuer ist, wird sie meist illegal irgendwo abgeladen", kritisieren die Designer. "Aber die Keramik kann von der Natur nicht abgebaut werden und verschmutzt Landschaft und Gewässer in der ganzen Region."

In einem "Regenerierungsexperiment" fertigt Bentu Design einen Terrazzo an, der aus Keramikresten entsteht – und die Ergebnisse können sich sehen lassen. "So wird aus Ausschussware ein neues Produkt, das in großem Maßstab produziert werden kann und deshalb auch nicht teuer ist."

Terrazzo passt sich überall gut ein. Er ist ein Stoff, der modern wirkt und doch leicht der Vergangenheit hinterherhängt. "Terrazzo bringt Muster und Farbe ins Haus, ohne dass es überbordend wirkt", sagt der Londoner Designer Sevak Zargarian, der eine Reihe von Schüsseln und Haushaltswaren entworfen hat, in denen marmorähnliche Porzellansteine stecken. "Es ist jedem selbst überlassen, den großen Auftritt zu wählen – oder Terrazzo im Kleinen zu leben." (Florian Siebeck, RONDO, 16.9.2017)

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