Wenn der Mann in der Krise ist, hilft nur noch ein robuster Overall – meint das Unternehmen Louis Vuitton.

Foto: Louis Vuitton Malletier / Pieter Hugo

Ein Einteiler mit Stehkragen, einer Knopfleiste, zwei Ärmeln und zwei kurzen Hosenbeinen, aus denen trainierte Männerschenkel schauen. Und schon war der Teufel los im Netz. Mehr als einen kurzen, bunt bedruckten Jumpsuit brauchten die vier Neo-Unternehmer Elaine Chen, Alex Neumann, Chip Longenecker und Daniel Webster-Clark nicht, um auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter auf sich aufmerksam zu machen.

Mehr als 350.000 Dollar sammelten die vier Amerikaner für ein Kleidungsstück, das auf den Namen "RompHim" hört und seither durch die Social-Media-Kanäle geschleift wird.

Geschmacksverirrte Strampelanzüge, ätzten die einen. Höchste Zeit, dass der Männer-Overall ein Comeback erlebt, seufzten die anderen. Letztere dürften aufatmen: Ob in kurz oder lang, der Jumpsuit ist zurück.

Dabei scheint kaum etwas männliche Anziehgewohnheiten so sehr infrage zu stellen wie ein ausgewachsener, behaarter Mann im Kurz-Overall. Warum bloß? Der "RompHim" knüpft doch nur an den babyblauen Einteiler an, den Obermacho Sean Connery 1964 in "Goldfinger" trug.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, lugte damals das üppige Brusthaar unter dem Kragen hervor, Subtext: Selbst ein Strandanzug aus Frottee stellt die Männlichkeit von 007 nicht infrage. Eigentlich wäre so viel männliche Selbstvergewisserung gar nicht nötig gewesen. Der Einteiler wurde schließlich vor einem Jahrhundert für den arbeitenden Mann erfunden.

Gegen Unterkühlung

Der australische Pilot Frederick Cotton entwickelte den "Sidcot Suit", einen Einteiler, der ihn bei der Arbeit vor Unterkühlung schützen sollte. Der Jumpsuit bewährte sich als praktischer Arbeitsanzug und wurde in der Fliegerei bis in die 1950er-Jahre angezogen. Und nicht nur da. Automechaniker, Raum- und Rennfahrer trugen im Job Overall.

Wer im Jumpsuit steckte, war im Einsatz – und konnte sich nur noch die Hände dreckig machen. Der Rest des Männerkörpers: sorgsam verpackt, vom Schlüsselbein bis zum Knöchel. Das machte ihn zum Allrounder: Was hätte Bruce Lee, was hätten die "Drei von der Tankstelle", was hätten die Ghostbusters nur ohne ihre Overalls angestellt?

Dass der Jumpsuit gerade jetzt die Männermode erobert, verwundert nicht. Der Mann ist in der Krise, die Feuilletons kennen kaum ein anderes Thema mehr. In der Mode werden dem Mann bereits verspielte Rüschen und Schluppenblusen angehängt. Nichts läge näher, als in die Offensive zu gehen und den guten alten Overall hervorzukramen. Er lässt bekanntlich keine Fragen offen.

So ließ das Unternehmen Louis Vuitton auf dem Laufsteg gleich einmal den Top-Gun-Kampfpiloten Tom Cruise im Jumpsuit mit Zippverschluss auferstehen, bei Prada werden die Overall-Ärmel bis zum Bizeps hochgekrempelt und die Krägen aufgestellt: Operation Overall, so viel männliche Einsatzbereitschaft war schon lange nicht mehr.

Operation Overall bei Prada
Foto: apa/afp/medina

Künstlerisches Experimentierfeld

Darüber könnte fast vergessen werden, dass der Ganzkörperanzug einmal künstlerisches Experimentierfeld war – und zum Anzug des "neuen Mannes", zum antibourgeoisen Statement werden sollte: 1919 warf der italienische Futurist Ernesto Michahelles alias Thayat das Schnittmuster eines Jumpsuits aufs Papier – und setzte der simplen Schönheit des T-förmigen, aus geometrischen Stoffstücken zusammengesetzten Overalls ein Denkmal.

Zwanzig Jahre später zeichnete der französische Autor Antoine de Saint-Exupéry den Kleinen Prinzen – er zog ihm passenderweise einen Einteiler an, der aussah, als sei er von einem Futuristen erdacht worden. Zum King des Jumpsuits hat es letztlich ein anderer gebracht. Niemand trat so oft im Overall auf die Bühne wie Elvis Presley. Seine glitzernden Einteiler, alle entworfen von dem amerikanischen Designer Bill Belew, ließen Brusthaar auf Glitter und Glamour treffen: nach oben hin geöffnet, Beine ausgestellt, um die Hüften stets ein breiter Gürtel.

Nie hat der einstige Arbeitsoverall verwegener ausgesehen. Einen ähnlich glamourösen Jumpsuit wäre im Moment wohl nur das Modehaus Gucci imstande zu designen – vielleicht kommt da ja noch was. (Anne Feldkamp, RONDO, 5.9.2017)