Wien – Das Tourismusland Österreich ist bei Inländern wie Ausländern gefragter denn je. In der bisherigen Sommersaison (Mai bis Juli) verbuchten die Betriebe mit 35,93 Millionen Nächtigungen ein Plus von 4,4 Prozent, laut Statistik Austria so viel wie seit 1992 nicht mehr. Die Zahl der Gäste stieg um 5,7 Prozent auf 11,84 Millionen – ein neuer Höchstwert. Wo viel Licht, gibt es auch Schatten.

Tourist go home. Statt freundlicher Willkommensgrüße finden Reisende zunehmend unfreundliche Parolen vor. In immer mehr Gegenden und vor allem in Städten haben Einheimische von den Touristen genug. Während Tourismusverantwortliche oft mit den der Branche zu verdankenden Arbeitsplätzen argumentieren, führen andere etwa die zunehmend via Airbnb und Co vermieteten Wohnungen ins Treffen, die die vielfach ohnehin prekäre Wohnsituation weiter verschärfen. Vladimir Preveden wundern die zunehmenden Proteste nicht.

Wachstum und Rekorde

Wann eine Stadt genug hat, diese Frage hätten Tourismusverantwortliche zu lange ignoriert, sagt der Experte des Beratungsunternehmens Roland Berger. Dabei habe auch eine Stadt eine Kapazität. "Bei den Verantwortlichen ging es oft nur um Wachstum und neue Rekorde." Der Erfolg im Tourismus werde immer nur an Nächtigungen gemessen. Preveden hat deswegen ein Barometer mit anderen Faktoren erstellt und 45 Städte in Europa – ganz große, mittlere und kleine – unter die Lupe genommen. Eine Kennzahl ist die Tourismusdichte, also Nächtigungen je Einwohner, die andere der Umsatz pro verfügbarem Zimmer.

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Nicht nur die Salzburger Getreidegasse ist zu jeder Jahreszeit gut besucht. Wer Gedrängel und Menschenmassen nicht mag, ist hier fehl am Platz.


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Unter diesem Blickwinkel ergibt sich ein anderes Bild: Viele Citys haben zu viele Gäste, ohne die dazugehörige Wertschöpfung. Sieben Städte fallen in dieser Betrachtungsweise in die rote Zone. Salzburg etwa gehört neben Amsterdam, Prag und Barcelona dazu. Paris hätte es hingegen geschafft, beides zu vereinen, sagt Preveden, nämlich etwas weniger Gäste mit zunehmender Wertschöpfung. Ein Paris-Besuch ist tatsächlich vergleichsweise teuer.

Wien macht es richtig

Auch Wien mache seine Sache gut, sagt Preveden. Zunehmend erkennen aber auch anderswo Stadtpolitiker, dass Stadt- und Tourismusentwicklung Hand in Hand gehen müssen.

Einfache Lösungen gibt es aber nicht, so der Tourismusexperte. Man müsse an mehreren Schrauben drehen. Barcelonas Bürgermeisterin verfügte etwa in der Innenstadt einen Stopp von Hotelneubauten. Prag versucht, Attraktionen in weniger gut besuchten Stadtteilen zu entwickeln.

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DER STANDARD zeigt fünf Beispiele von touristischen Hotspots in Europa, wo die Grenzen des Tourismus mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck kommen.

VENEDIG

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Gondeln durch die Kanäle von Venedig: Was Millionen Touristen Spaß macht, wird für Einwohner der Lagunenstadt immer öfter zu einem Ärgernis.
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Während Italiens Nationalökonomen die heurige Rekordtourismussaison bejubeln, droht der Tourismus für die Venezianer zum Schreckgespenst zu werden. Vor allem Venedigs Jugend hat kürzlich lautstark gegen den Massenauflauf von Touristen protestiert und plädiert für eine nachhaltige Fremdenverkehrspolitik. Marco Ubertini, Student an der Ca'-Foscari-Universität, fürchtet um die Identität der Stadt.

Bürgermeister Luigi Brugnaro hat zu Ferragosto (Mariä Himmelfahrt) zwei Stunden lang als Straßenkehrer gearbeitet, um Plastikflaschen und -säckchen, Derivate des Massentourismus, aufzukehren. Denn die städtische Müllentsorgung kommt mit der Reinigung kaum nach. Venedig droht angesichts der Kreuzfahrtschiffmonster auch wachsende Luftverschmutzung.

Der Guardian forderte seine Leser auf, bei einer Venedig-Reise die Anti-Smog-Masken nicht zu vergessen. Und als die New York Times noch auf der ersten Seite verkündete, dass Venedig zum "Disneyland des Wassers" regrediere, empfand man dies als Komplott der Medien gegen Venedig.

Mit 54.579 Einwohnern zählt Venedig jährlich 28 Millionen Touristen. Der Gemeinderat diskutiert nun über einen Baustopp und über die Einführung eines Numerus clausus bei Tagestouristen. 70 zusätzliche Polizisten sollen für "anständiges" Benehmen der Gäste sorgen.

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SALZBURG

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Salzburg zieht nicht nur zu Festspielzeiten Massen an Touristen an, die Stadt an der Salzach ist das ganze Jahr über Besuchsziel vieler Gäste aus dem In- und Ausland. Die Belastung für die Bewohner nimmt zu.
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Viele Bewohner Salzburgs meiden in der Hauptsaison bereits die Innenstadt. Der Unmut über den Massenansturm der Touristen wächst. Allein im Juli wurden 360.000 Übernachtungen in der Altstadt gezählt. Hinzu kommen immer mehr Tagesgäste, die vor allem ein Verkehrsproblem verursachen.

An Regentagen sind die Parkgaragen in der Innenstadt meist bereits zu Mittag ausgelastet, der Rückstau zieht sich durch alle Hauptverkehrsstraßen. Die Navigationssysteme leiteten die Touristen weiter in die Altstadt. Die Park-and-ride-Parkplätze am Stadtrand werden wenig angenommen. Ein Dorn im Auge sind die Bustouristen, die für eineinhalb Stunden in der Stadt bleiben und wenig konsumieren. Allein in der Paris-Lodron-Straße laden rund 200 Busse täglich ihre Gäste ab. Die Vorschläge zur Beschränkung reichen von Kontingentierung über eine Maut bis hin zu höheren Bustarifen.

Auf dem angespannten Wohnungsmarkt treibt der Tourismus die Preise weiter in die Höhe. Die Stadt Salzburg schätzt, dass rund 1000 Unterkünfte über Onlineplattformen privat an Touristen vermietet werden. Nachbarn zeigen die Vermieter teils an. Jedes Jahr werden 20 Verfahren geführt. Mit dem neuen Raumordnungsgesetz ist es künftig nur erlaubt, die eigene Wohnung zu vermieten. Wenn der Gast eine Ortstaxe, der Vermieter Steuern zahlt.

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MALLORCA

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Die Kathedrale von Palma de Mallorca ist eine der meist fotografierten und besuchten Sehenswürdigkeiten auf der Ferieninsel im Mittelmeer. Die Geduld der Mallorquiner mit dem Gästeandrang ist enden wollend.
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Wir leben auf einer kleinen Insel mit limitierten Ressourcen", betont Gabriel Barceló Milta, Tourismusrat für den Parteibund Més per Mallorca. Es gelte "die Nachhaltigkeit zu sichern und ein Gleichgewicht zu finden". Zur Hochsaison 2016 beherbergte die beliebte Ferieninsel gut zwei Millionen Gäste, fast das Doppelte ihrer Einwohnerzahl.

Laut Vilma Sarraf von der Stiftung nachhaltiger Tourismus verursacht jede Million Touristen in Spanien 25 Millionen Kilogramm CO2-Emissionen, 1,5 Millionen Kilogramm Müll und 300 Millionen Liter Abwässer. Anfang des Monats ist ein neues Tourismusgesetz beschlossen worden, es deckelt die Zahl der Nächtigungsmöglichkeiten bei 623.624 Betten, von Hotels bis zu Ferienwohnungen. Die Zahl soll sukzessive um 120.000 verringert werden.

Zugleich sieht die Reform Strafen von 20.000 bis zu 40.000 Euro für illegal feilgebotene Wohnungen für deren Eigentümer vor. Und bis zu 400.000 Euro für Plattformen wie Airbnb oder Homeaway, sofern solche nicht binnen 15 Tagen von ihrer Webseite entfernt werden.

Angefacht durch die enorme Nachfrage explodieren die Mietpreise in Palma de Mallorca und auch auf Ibiza. Einwohner und viele der abertausenden Saisoniers, die oft zu Niedrigstlöhnen arbeiten, finden keine erschwinglichen Unterkünfte mehr.

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DUBROVNIK

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Blick auf Dubrovnik: Immer mehr Kreuzfahrtschiffe bringen immer mehr Gäste in die dalmatinische Hafenstadt, nicht immer zur Freude der Einwohner.
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Die Preise steigen ins Unermessliche, manche Bewohner von Dubrovnik können es sich nicht mehr leisten, in ihrer Heimatstadt zu heiraten, und weichen ins Umland aus. Viele flüchten ohnehin im Sommer aus der Stadt oder bleiben bis abends in den Häusern, wenn viele Touristen wieder abgereist sind. Die Altstadt, die den Titel Unesco-Weltkulturerbe trägt, kann eigentlich gar nicht mehr "bewohnt" werden. Es gibt auch kaum mehr Lebensmittelgeschäfte.

Wegen der krisenhaften Situation in der Türkei boomt das Urlaubsgeschäft in Kroatien. Dubrovnik wird vor allem von Kreuzfahrtschiffen angefahren – zuweilen müssen die Stadttore wegen des Massenansturms geschlossen werden. Bürgermeister Mato Frankovic will die Lage durch eine sorgfältigere Planung in den Griff bekommen und für die kommenden Jahre die Höchstzahl der Besucher, die gleichzeitig in die Stadt dürfen, auf 4000 Personen begrenzen. Zurzeit dürfen 8000 Touristen hinein. Ein Zählschalter wurde bereits eingerichtet.

Die Stadtverwaltung will Lizenzen für die Einfahrt in den Hafen limitieren. Wenn große Kreuzfahrtschiffe mit bis zu 4000 Touristen kommen, sollen nur zwei von ihnen ankern dürfen. Für die Bewohner der 40.000 Einwohner zählenden Stadt sind auch der Müll und der Gestank aus der Kanalisation, die überbeansprucht ist, ein Ärgernis.

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HALLSTATT

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Hallstatt am gleichnamigen See in Oberösterreich gelegen ist insbesondere bei chinesischen Touristen ein "must". Die Hallstätter selbst haben immer weniger Freude damit.
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Um die Magie der 800-Seelen-Gemeinde im Inneren Salzkammergut zu spüren, gibt es nur eine goldene Regel: In Hallstatt muss man übernachten. Wenn am späten Nachmittag die letzten Tagestouristen abziehen, legt sich eine unvergleichliche Stille über den Ort.

Es sind dies Licht und Schatten eines Weltkulturerbes: Der Tourismus blüht, doch die Massen können auch zur Last werden. Pro Jahr kommen zwischen 600.000 und 700.000 Personen nach Hallstatt, im Schnitt 1800 Personen pro Tag. Aus den Bussen steigen vorwiegend Chinesen, Japaner, Koreaner und Thailänder.

Hallstatt lebt ausgezeichnet von diesen Gästen – und leidet massiv unter ihnen. Die Bürgerliste Bürger für Hallstatt fordert vehement eine Obergrenze für Tagesgäste. Es brauche vor allem Beschränkungen bei den Bussen.

Auch Hallstatts Bürgermeister Alexander Scheutz (SPÖ) kann sich eine Tagesobergrenze durchaus vorstellen, sieht aber massive Probleme bei der Umsetzung: "Wir haben eine Straße – und die führt weiter nach Obertraun. Ich kann nicht einfach eine Schranken zumachen." Fakt sei aber: "Wir haben das Maximum erreicht. Mehr Touristen sind den Einheimischen nicht zumutbar." Im Ort mussten jetzt übrigens neue Verbotsschilder aufgestellt werden: Jüngstes Problem ist die steigende Zahl an Touristen mit Drohnen im Gepäck. (rebu, ruep, awö, tkb, jam, mro, 29.8.2017)