Ab Montag bereitet Marcel Koller das Team in Wien auf die kommenden Aufgaben vor.

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STANDARD: Vor dem letzten Lehrgang haben Sie die Spieler in ungewohnter Schärfe kritisiert, haben ihnen Raunzerei und mangelnde Einstellung vorgeworfen. Missfällt Ihnen diesmal etwas?

Koller: Man soll schon relativieren. Ich habe gesagt, dass zwar ab und zu einer raunzt, die Einstellung auf dem Spielfeld hat aber immer gepasst. Der Lehrgang im Juni vor dem Irland-Spiel war hervorragend, vom ersten Training an hatten wir hohe Frequenz, die Spieler haben im Urlaub etwas gemacht, das war sehr gut. Ich gehe davon aus, dass diese Fokussierung und dieses Bewusstsein auch diesmal stattfinden.

STANDARD: Es missfällt Ihnen also nichts. Sind Sie ein rundum glücklicher Teamchef?

Koller: Hast du verletzte Spieler, kannst du das nicht ändern. Wir haben neue Leute dazugeholt, etwa Maximilian Wöber. Es kommen von unten welche nach, die Qualität haben.

STANDARD: Kurzer Themenwechsel: Missfällt Ihnen der 222-Millionen-Euro-Transfer von Neymar? Ist das noch fassbar? Macht das den Fußball kaputt?

Koller: Wohin es führt, weiß keiner. Das ist natürlich die Spitze, alle kennen Neymar, der ist ein absoluter Topmann. Was sichtbar wurde, ist, dass der eine oder andere Verein jetzt sagt, mein Spieler kostet auch 100 Millionen. Jene, die das bezahlen, müssen das Geld haben. Ich glaube nicht, dass es an der Basis und im mittleren Bereich ausartet.

STANDARD: Ist der Fairplay-Gedanke nicht ad absurdum geführt?

Koller: Ja. Überall werden Wege gesucht, um etwas zu umgehen.

STANDARD: Ist Marko Arnautovic 29 Millionen wert?

Koller: Das muss ich nicht beurteilen. Bei uns hat er in sechs Jahren extreme Fortschritte gemacht, ist ein Führungsspieler geworden. Anscheinend ist er das wert, sonst hätte es West Ham nicht bezahlt.

STANDARD: Das Mitleid mit den Spielern hält sich in Grenzen, aber sorgen diese Summen nicht für zusätzlichen Druck? Lässt sich die Rote Karte von Arnautovic nach dem Ellenbogencheck gegen Southampton damit erklären?

Koller: Ich denke nicht. Rote Karten gibt es auch in der österreichischen Liga. Betrittst du den Platz zum Aufwärmen, beginnt das Spiel, dann denkst du nicht, wie teuer du bist. Der Druck ist vorher da, es wird assoziiert, der verdient so viel Geld, der muss in jedem Spiel mindestens ein Tor schießen. Die sozialen Medien verstärken das. Ein Neymar schießt immer Tore. Normalerweise musst du an dem Druck zerbrechen, er geigt auf. Nicht alle sind mental so stark.

STANDARD: Zwei zumindest vorentscheidende Partien in der WM-Quali stehen an. In Cardiff gegen Wales, in Wien gegen Georgien. Sie mögen zwar keine Hochrechnungen, aber sind sechs Punkte nicht Pflicht, um zur WM nach Russland zu fahren?

Koller: Stimmt, ich mag keine Hochrechnungen. Es hängt ja auch davon ab, wie die anderen spielen. Wir wollten auch in Irland siegen, es haben schlussendlich fünf Minuten gefehlt. Wir werden alles dransetzen, um in Wales zu gewinnen.

STANDARD: Seit eineinhalb Jahren ist Sand im Getriebe. Wie schaut Ihr Befund aus?

Koller: Die Medien dürfen nicht alles mit der Qualifikation zur Europameisterschaft vergleichen, in der alles rundlief und wir die engen Spiele für uns entschieden haben. Bist du vorn dabei, hast du automatisch ein anderes Auftreten. Bist du im Hintertreffen, verkrampft das. In unserer Gruppe sind vier Mannschaften praktisch gleich. Wir hätten auch jetzt jedes Spiel gewinnen oder verlieren können und haben leider zweimal verloren.

STANDARD: Stimmen also nur die Ergebnisse nicht?

Koller: Natürlich sind die Ergebnisse ein Gradmesser. Das ist der Blick von außen. Wenn man erfolgreich ist, muss man sich immer ins Bewusstsein rufen, dass man gerade dann noch mehr tun muss, um oben zu bleiben.

STANDARD: Nimmt die Zahl der Schlüsselspieler, die im Klub Probleme haben, wieder zu? Dragovic und Kapitän Baumgartlinger kommen in Leverkusen nicht in die Spur, Janko ist bei Sparta Prag auch Reservist.

Koller: Nehmen wir die zwei Leverkusener her, da ist natürlich Konkurrenz vorhanden, die haben alle Qualität. Aber Außenstehenden fehlt der Einblick. Keiner weiß, wie die beiden ackern, es wird in Medien nur behauptet, dass Dragovic ein Fehleinkauf ist. Ich mache mir um die beiden keine Sorgen.

STANDARD: Und Janko?

Koller: Er ist 34, hat immer bewiesen, dass man auf ihn zählen kann, dass er trifft. Welch anderer österreichischer Stürmer hat diesen Leistungsnachweis?

STANDARD: Nennen Sie drei Gründe, warum Österreich bei der WM-Endrunde 2018 dabei ist?

Koller: Ich kann nur sagen, wir haben eine Supermannschaft, wir hauen alles rein. Leider wollen die Waliser, Iren und Serben auch nach Russland.

STANDARD: Es geht natürlich auch um Ihre Person. Sie sind knapp sechs Jahre im Amt. Verspüren Sie Anzeichen von Abnützung?

Koller: Das ist immer möglich, aber ich fühle mich gut. Als Nationaltrainer kommt es seltener als bei einem Klub vor, es ist weniger krass. Du hast immer wieder neue Spieler, denen du deine Ideen vermitteln musst. Sie wollen erfolgreich sein, jeder will alles für Österreich geben.

STANDARD: Muss man Ideen adaptieren oder sind jene von vor sechs Jahren immer noch gültig?

Koller: An der Spielphilosophie ändert sich grundsätzlich nichts. Punkto Taktik und System gibt es Anpassungen. Ich möchte nicht das ganze Spiel mit langen Bällen operieren, ich möchte den Ball flach halten, ich möchte Fußball spielen, ich möchte sehen, dass sich die Spieler bewegen. Dass sie einen Trick machen, ein Dribbling und einen Risikopass versuchen. Ich werde nie zulassen, dass das Team sich nur hinten reinstellt.

STANDARD: Denken Sie in stillen Momenten, dass es für Sie im Fußball noch etwas anderes als österreichischer Teamchef geben muss?

Koller: Meine Gedanken drehen sich ausschließlich um Wales und Georgien. Ich habe einen Vertrag bis November,

STANDARD: Eine typische Sportjournalistenfrage wäre: Was passiert im Fall einer Niederlage in Cardiff?

Koller: Das wäre in der Tat eine typische Frage.

STANDARD: Sie sei hiermit nicht gestellt.

Koller: Danke dafür. (Christian Hackl, 26.8.2017)