Als Moderatorin Rosa Lyon die Namen der sechs Regierungsmitglieder vorliest, die im März 2011 Österreichs heute gültige Strategie für Forschung, Technologie und Innovation (FTI-Strategie) verabschiedet haben, brandet im Publikum kurz Gelächter auf: Keiner der damals Verantwortlichen ist noch im Amt. Ist dann diese sechs Jahre alte Leitlinie, mit deren Konzepten das Land zu einem der "Innovation Leaders" in der EU aufsteigen sollte, also selbst noch zeitgemäß? Schließlich drehen sich die Räder der technologischen Entwicklung immer schneller, und die Welt des Jahres 2017 ist in vielerlei Hinsicht nicht mehr jene von 2011.

Zum Start seiner dreitägigen Technologiegespräche lud das Europäische Forum Alpbach am Mittwoch zum sogenannten FTI-Talk, um sich dieser und ähnlichen Fragen zu widmen. Bevor sich in vielen weiteren Panels Experten mit Detailfragen ihrer Felder befassen, sollten hier politische Akteure einen Blick auf das "große Ganze" des Themas werfen. Welche Herausforderungen, aber auch Chancen kommen auf Österreich im digitalen Zeitalter zu, und wie gut ist das Land darauf vorbereitet? Wo bestehen Defizite, und was müsste die Politik tun, damit "wir" am Ende eher Profiteur als Opfer der "digitalen Revolution" sind?

"Gartenlauben-Mentalität" der Österreicher

Darüber nachdenken durften die Minister Jörg Leichtfried (Infrastruktur, SPÖ), Sonja Hammerschmid (Bildung, SPÖ) und Harald Mahrer (Wissenschaft und Wirtschaft, ÖVP) mit dem Präsidenten der Industriellenvereinigung Georg Kapsch und Ex-Finanzminister Hannes Androsch, heute Vorsitzender des Rates für Forschung und Technologieentwicklung. Das für Alpbach ungewohnt politisch besetzte Panel widerstand dabei großteils der Versuchung, das Podium auch gleich zur Wahlkampfbühne zu machen – von einigen kleinen Seitenhieben einmal abgesehen.

Dennoch spiegelte sich auch im Alpbacher Kongresszentrum recht schnell wieder, welche beiden Teams es in verwandten Debatten fast immer gibt: Während Leichtfried und Hammerschmid Österreich im Großen und Ganzen gut aufgestellt sehen, zeichneten Mahrer und Kapsch ein eher düstereres Bild unserer technologischen Wettbewerbsfähigkeit. Auch Androsch zeigte sich skeptisch. Er kritisierte eine "Gartenlauben-Mentalität" der Österreicher: "Viele lehnen sich zurück und sagen, naja, es muss etwas geschehen, aber es darf auch nix passieren".

Technologiegespräch in Alpbach: Lyon, Leichtfried, Mahrer, Hammerschmid, Kapsch, Androsch.
Foto: Forum Alpbach/Maria Noisternig

"Pampers-Politik"

Ein ähnliches Schlagwort lieferte Harald Mahrer, der gar von einer "Pampers-Politik" sprach: "Wir machen uns zu viel ins Hemd". Geht es nach dem Wirtschafts- und Wissenschaftsminister, drohe Österreich bei digitaler Infrastruktur hinter andere Länder abzurutschen. Dass auf einer Bahnfahrt von Wien nach Innsbruck sieben Mal die Handyverbindung abbricht, ist für ihn ein Beispiel. Es müsse "mehr und mutiger" in diesen Bereich sowie in Forschung und Entwicklung investiert werden. Orientieren solle man sich dabei nicht an den eigenen Standards und auch nicht bloß an Europa, sondern an der "weltweiten Exzellenz".

Für IV-Präsident Georg Kapsch liegt ein großer Teil des technologischen Umbruchs bereits hinter uns: "Ich kann das Thema Digitalisierung nicht mehr hören. In der Industrie selbst ist das längst erledigt", meint er. Trotzdem gebe es für die österreichische Wirtschaft riesige Chancen, die nicht ungenützt bleiben dürfen. Er pflichtete Androsch bei, dass Österreich eine "Gartenlauben-Mentalität" habe. Aber dazu wären die Menschen auch die letzten 40 Jahren erzogen worden. Vorbildhaft sind für ihn der Unternehmergeist und die Risikofreude des Silicon Valley.

"Mehr Selbstbewusstsein"

Ein bisschen zur Verteidigung des österreichischen Status quo rückte Infrastrukturminister Jörg Leichtfried aus. In vielen Bereichen seien heimische Technologie-Unternehmen Weltspitze. "Wir brauchen auch Selbstbewusstsein", findet der Minister. Mahrers Kritik an zu wenig Investition in die digitale Infrastruktur konterte er mit einem Verweis auf ÖVP-Finanzminister Hans-Jörg Schelling: "Ich hätte gern auch zehn Milliarden für den Breitbandausbau genommen, habe aber vom Finanzminister nur eine bekommen". Grundsatzdebatten darüber, ob die Digitalisierung ein Glück oder Übel sei, findet Leichtfried nicht zielführend. Sie komme "auf jeden Fall, ob wir das nun wollen oder nicht". Man könne sich nur so gut wie möglich darauf einstellen. (Michael Unger, 25.8.2017)

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