Alpbach – Österreich, der "next door neighbour", habe der Central European University (CEU) eine Unterkunft angeboten, ein "bed for the night". Er hoffe, dieses freundliche Angebot nicht annehmen zu müssen, sagte Michael Ignatieff, Präsident der CEU in Budapest, am Mittwochvormittag im Tiroler Bergdorf Alpbach.

Das Europäische Forum, im heurigen Jahr zum Generalthema "Konflikt und Kooperation", hatte ihn eingeladen, die Keynote zu den Hochschulgesprächen zu halten. Hintergrund: Die vom ungarisch-amerikanischen Großinvestor George Soros 1991 gegründete Privatuniversität ist im Frühjahr in Bedrängnis geraten, weil die ungarische Regierung unter Viktor Orbán eine Gesetzesnovelle verabschiedete, die Anfang 2018 in Kraft tritt. Sie besagt, dass ausländische Universitäten in Ungarn künftig nur noch dann einen Lehrbetrieb aufrecht erhalten können, wenn es darüber einen Vertrag mit der Regierung des Ursprungslandes gibt und die Hochschule auch dort Lehre betreibt – der letzte Punkt trifft auf die CEU nicht zu.

Universitäten unter Druck

Ignatieff sprach immer wieder davon, die akademische Freiheit verteidigen zu wollen und forderte das Publikum auf, einen direkten Zusammenhang mit der Demokratie zu sehen. Ungarn sei nicht der schwierigste Fall, man sollte an China denken, einem Land, wo man kritische Worte nicht äußern dürfe. In der Türkei werden derzeit ganze Abteilungen von Universitäten aufgelöst. Wissenschafter gehen nach Europa, in die USA oder Kanada.

In Ungarn gibt es derzeit außer der besagten vielfach als "Lex CEU" bezeichneten Novelle keine bekannten Eingriffe in die Universitätem. Oft wurde die Novelle bereits als Retourkutsche Orbáns gegen George Soros bezeichnet, der vom ungarischen Regierungschef ungeliebte NGOs unterstützt. Ignatieff sagte in Alpbach, Soros habe die Uni gegründet, finanziere sie und ein "board of trustees" ermögliche der CEU bisher akademische Freiheit. Ignatieff verwehrte sich gegen die von Orbán geäußerte, abfällig gemeinte Bezeichnung "Soros-Uni" als "Label".

Suche nach neuen Feinden

Ignatieff schlug den Bogen zu zentralen Problemen der Gegenwart. Es gehe in der modernen Gesellschaft hauptsächlich um Identität und Wirklichkeit. Aus der Frage nach der Identität folge der Fragenkomplex: "Wer sind meine Freunde, wer sind meine Feinde?". Die alten Feinde aus der Geschichte gäbe es nicht mehr, daher würden wir ständig neue Feindbilder suchen, darunter auch Migranten und Muslime.

Und die Politik würde das durch scharfen Tonfall und Polarisierung befeuern. "Die Gefahr ist, dass wir von Links und von Rechts zum neuen Feind erklärt werden", sagte der gebürtige Kanadier, Buchautor, Historiker und ehemaliger Politiker, über die Lage der Universitäten. Die Aufgabe der Unis sei es, in einem Open Space den Menschen klar zu machen: "Vergiss die Identitäten, lerne dazu, wandle dich, Identität ist kein Käfig."

Ignatieff kam letztlich auch auf die Universität im postfaktischen Zeitalter zu sprechen. Er kritisierte, dass zu viele Menschen, zu viele Studenten heute Wirklichkeit mit Meinung verwechseln, Tweets, ein Gerücht, Tatsachen und Erfindungen nicht auseinander halten können. Und er sagte zum Abschluss: Fakten seien nichts, wozu man sich entscheiden könne. Es sei die Kompetenz der Unis, Fakten und Meinung zu differenzieren. (Peter Illetschko, 23.8.2018)