Der dichtbebaute Grazer Bezirk Jakomini ist besonders von extremer Hitze betroffen – Forscher haben nun untersucht, welche Maßnahmen dagegen gesetzt werden können.

Foto: Plankenauer

Graz – Als The Lovin' Spoonful vor 51 Jahren erstmals die Härten eines Summer in the City besangen, trafen sie mit dem unverwüstlichen Megahit mitten ins hitzegeschundene Herz nicht nur US-amerikanischer Großstadtbewohner: "All around people looking half dead." Ein halbes Jahrhundert später hat sich die Situation noch verschärft: Im Zuge der Nachverdichtung werden immer mehr freistehende Flächen verbaut, was im Verein mit dem Klimawandel – der durch die Bodenversiegelung wiederum verstärkt wird – noch mehr extrem heiße Tage mit sich bringt und eine Abkühlung nachts verhindert.

Das lässt die Menschen nicht nur "halb tot aussehen", sondern sorgt für eine wachsende Zahl von Hitzetoten. Forscher der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt rechnen in naher Zukunft mit jährlich mehr als 1000 Todesfällen infolge von Hitze in Österreich – wenn keine Maßnahmen ergriffen werden und der Klimawandel ungebremst fortschreitet.

Maßnahmen zur Hitzereduktion in Städten

In einem vom Klimafonds des Lebens- und des Verkehrsministeriums geförderten Sondierungsprojekt von Joanneum Research und der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), eine nachgereihte Dienststelle des Wissenschaftsministeriums, wollen Forscher nun ermitteln, mit welchen Maßnahmen sich die Hitze in den Städten effizient reduzieren lässt. Grundsätzlich geht es dabei vor allem um Begrünung, die Schaffung von Wasserflächen, die Art der Bebauung und reflektierende Dachfarben.

"Die Effekte solcher Maßnahmen sind je nach Lage und Struktur einer Stadt sehr unterschiedlich", sagt Maja Zuvela-Aloise, ZAMG-Klimaforscherin. "Wir haben deshalb mittels kleinräumiger Computersimulationen untersucht, wie sich welche Maßnahmen auf den dichtbebauten Grazer Wohn- und Gewerbebezirk Jakomini auswirken würden."

Der optimale Mix

Die Ergebnisse sind beeindruckend – zumindest in der Theorie: So könnte man etwa die durchschnittliche Zahl der Tage über 25 Grad um fünf bis zehn verringern, wenn man sämtliche Dachflächen begrünen oder mit einem die Sonnenstrahlen reflektierenden Material decken würde.

In der Praxis ist das allerdings nicht umsetzbar: "Aus baulichen Gründen können in Jakomini nicht mehr als elf Prozent der Dächer begrünt werden", so die Klimaforscherin. Es gehe daher um den optimalen Maßnahmenmix. "Etwa Fassadenbegrünung in Kombination mit geänderter Dachfarbe und dem Erhalt vorhandener Grünflächen."

Welche Maßnahmen in einem bestimmten Bezirk am besten wirken, lässt sich mit den ZAMG-Berechnungen ermitteln. Der Realitäts-Check erfolgt dann gemeinsam mit Stadtplanern, ansässigen Unternehmen und Einwohnern. "Die Experten der ZAMG haben ein Maximalszenario simuliert", sagt Ingrid Kaltenegger von Joanneum Research.

Theorie vs. Realität

"In der Realität stehen dem jedoch oft Oberleitungen, Denkmalschutz und viele andere bauliche Gegebenheiten, Vorgaben und Vorbehalte entgegen." So freut sich nicht jeder Stadtbewohner über einen Baum vor seinem Haus, der Laub abwirft, Licht wegnimmt und bei Unwettern Passanten gefährden könnte.

Ein wesentlicher Aspekt in diesem Sondierungsprojekt ist deshalb die Einbindung der Bevölkerung. "Wir wollen den Leuten zeigen, was sie selber zur Verbesserung des Stadtklimas beitragen können, welche Effekte das hat, wo sie Informationen, rechtlichen Rat und Förderungen bekommen", Kaltenegger. Dass sich auch Wohnbaugenossenschaften aufgeschlossen für diese Verbesserungsmaßnahmen zeigen, freut sie besonders: "Sie können damit Vorzeigeprojekte entwickeln, die erhebliche Effekte auf das Mikroklima haben."

Die immer dichtere Verbauung aufgrund des starken Zuzugs ist wie in den meisten Städten auch in Graz ein Riesenproblem. So nahm in Jakomini die verbaute Fläche in nur sieben Jahren um drei Prozent zu, während die Grünflächen im gleichen Maß verringert wurden.

Österreich hält Negativrekord in Europa

Da bebaute, betonierte, asphaltierte oder gepflasterte Böden kein Wasser verdunsten können, steigen in Siedlungsräumen mit hohen Versiegelungsraten auch die lokalen Temperaturen. Zudem können die Staubpartikel nicht mehr gebunden werden, was die Luftqualität verschlechtert. Auch wichtige Bodenfunktionen wie die Speicherung von Wasser und Kohlenstoff gehen verloren, wodurch immer weniger hochwertige Böden als Natur- und Erholungsräume sowie für die landwirtschaftliche Nutzung zur Verfügung stehen.

Österreich hält bei der Verbauung der fruchtbaren Böden übrigens einen Negativrekord in Europa. Während etwa in Deutschland, wo man über eine strukturiertere Raumordnung verfügt, jährlich rund 0,25 Prozent der Agrarflächen verbaut werden, ist der Anteil in Österreich doppelt so hoch. Dadurch wird die Versorgung mit heimischen Lebensmitteln nachhaltig gefährdet. Bei starker Bodenversiegelung kann außerdem das Regenwasser nicht mehr gut versickern. Da Kanalisation oder Vorfluter die Wassermassen bei Starkregen oft nicht mehr fassen können, kommt es in der Folge auch häufiger zu örtlichen Überschwemmungen.

Sorgloser Verbrauch von Boden

Obwohl all diese Folgen einer massiven Verbauung auch viele Österreicher in den vergangenen Jahren verstärkt am eigenen Leib erfahren mussten, wird hierzulande weiterhin bemerkenswert sorglos im großen Stil Boden verbraucht. Und das, obwohl man gerade auf die herrliche Landschaft so viel hält. Konkret wurden in Österreich in den vergangenen zehn Jahren jeden Tag durchschnittlich 20 Hektar Bodenfläche verbaut.

Zwischen 2014 und 2016 ist der tägliche Bodenverbrauch zwar auf etwa 15 Hektar (die Hälfte davon versiegelt) zurückgegangen, doch damit ist man immer noch meilenweit vom Reduktionsziel der EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung entfernt, die auch für Österreich verbindliche Vorgaben beinhaltet. In Hinblick auf den Bodenverbrauch wären das 2,5 Hektar pro Tag.

Der österreichische Hang zum Beton lässt sich durch Bevölkerungswachstum nicht rationalisieren: Während nämlich im Vergleich zum Jahr 2001 aktuell nur um acht Prozent mehr Menschen in Österreich leben, ist die Neuversiegelung je Einwohner in dieser Zeitspanne um 23 Prozent gestiegen. (Doris Griesser, 26.8.2017)