Barcelona/Cambrils/Alcanar/Wien – Nach Angaben der katalanischen Polizei könnte der Attentäter von Barcelona noch am Leben sein. Polizeichef Josep Lluis Trapero dementierte am Freitagabend im Fernsehen Pressemeldungen, wonach der Fahrer des Fahrzeugs, das am Donnerstag 14 Menschen getötet und rund 120 weitere Menschen verletzt hatte, erschossen worden sei. Er könne das nicht bestätigen.

"Das ist eine Möglichkeit, es verliert aber (...) an Gewicht", formulierte der Polizeichef von Katalonien. Am Donnerstag waren nur wenige Stunden nach der Amokfahrt über die Flaniermeile La Rambla in Barcelona in dem katalanischen Badeort Cambrils fünf mutmaßliche Terroristen von der Polizei erschossen worden. Spanische Medien vermeldeten anschließend, der Attentäter sei einer von ihnen gewesen.

Die katalanische Regierung hat eine dreitägige Trauerzeit ausgerufen. Beileidsbekundungen kommen aus der ganzen Welt.
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Behörden gehen von größerer Terrorzelle aus

Der Doppelanschlag in Spanien geht nach Erkenntnissen der Polizei auf das Konto einer mutmaßlichen Terrorzelle mit offenbar noch größeren Anschlagsplänen. Die Attentate in Barcelona und Cambrils seien "in rudimentärerer Weise" begangen worden als geplant, sagte Trapero am Freitag.

Die bisherigen Ermittlungen deuteten daraufhin, dass es eine "Personengruppe" gebe, die von den Orten Ripoll und Alcanar aus agiert habe, sagte der Polizeichef. Die Attentäter handelten offenbar überstürzt, nachdem die noch größeren Anschlagspläne scheiterten.

Österreichische Urlauber auf dem Weg nach Spanien – und von Spanien kommend – beschreiben, wie sie mit der omnipräsenten Bedrohung des islamistischen Terrors umgehen.
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Bombe vorbereitet

Trapero verwies auf eine Explosion in der Nacht zum Donnerstag in Alcanar, 200 Kilometer südlich von Barcelona. Dort hätten die Angreifer Bomben vorbereitet. Nach dieser Explosion hätten die Attentäter "nicht mehr das Material gehabt, um Anschläge noch größeren Ausmaßes zu verüben". Was das ursprüngliche Anschlagsziel war, blieb zunächst offen.

Der Doppelanschlag von Barcelona und Cambrils sei nach dem Beispiel ähnlicher Attacken in anderen europäischen Städten begangen worden, sagte Trapero. Die Taten hätten aber nicht das von den Jihadisten "erhoffte Ausmaß" gehabt.

Suche nach viertem Verdächtigen

Die Polizei identifizierte drei der erschossenen mutmaßlichen Attentäter als die Marokkaner Moussa Oukabir, Said Aallaa und Mohamed Hychami im Alter von 17, 18 und 24 Jahren aus Ripoll. Nach einem vierten Verdächtigen, dem 22-jährigen Younes Abouyaaqoub, wurde demnach noch gesucht.

In die Anschläge könnten nach Polizeiangaben ein Dutzend Verdächtige verwickelt sein. Vier wurden festgenommen, darunter der 27-jährige Driss Oukabir, der Bruder von Moussa Oukabir. Ein weiterer war auf der Flucht.

Drei weitere Menschen wurden laut Polizei identifiziert, aber nicht festgenommen. Zwei von ihnen könnten möglicherweise bei der Explosion in dem Haus in Alcanar getötet worden sein. Dort seien die Überreste von zwei Menschen gefunden worden.

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Die 14 Toten und mehr als 100 Verletzten des Anschlags von Barcelona und des vereitelten Angriffs von Cambrils stammen aus der ganzen Welt. Den katalanischen Behörden zufolge kamen Menschen aus 34 Ländern zu Schaden. Trauernde legten Blumen und Kerzen ab.
Foto: AP/Manu Fernandez

Fahndung nach weißem Renault Kangoo

Im Zusammenhang mit den Anschlägen in Barcelona und Cambrils wird nach einem Fahrzeug gefahndet. Wie aus französischen Polizeikreisen verlautete, übermittelte ihr die spanische Polizei am Freitag Angaben zu einem weißen Renault Kangoo. Der Hochdachkombi werde im Zusammenhang mit den Attentaten in Spanien gesucht. Er sei möglicherweise über die Grenze nach Frankreich gefahren.

65 Menschen noch im Krankenhaus

Bei dem Anschlag in Barcelona am Donnerstag und in Cambrils in der Nacht auf Freitag wurden insgesamt 14 Menschen getötet und knapp 120 verletzt, darunter eine Österreicherin. Den katalanischen Behörden zufolge kamen Menschen aus 34 Ländern zu Schaden. 65 Verletzte befanden sich am Freitag noch im Krankenhaus. 17 Verletzte kämpften laut Zivilschutz weiter um ihr Leben, 28 befänden sich in "ernstem Zustand".

Bei einer Schweigeminute in Barcelona wurde der Opfer der Terrorangriffe gedacht.
Foto: APA/AFP/PASCAL GUYOT

Rechtsextreme störten Gedenkveranstaltung

Spaniens König Felipe VI. und Ministerpräsident Mariano Rajoy begaben sich nach Barcelona, wo sie an der Seite der Regionalregierung an einer Schweigeminute teilnahmen. Wegen der Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens sind die Beziehungen zwischen Madrid und Barcelona gespannt. Rajoy betonte die Notwendigkeit der Einheit zwischen Katalonien und Spanien. König Felipe und Königin Letizia wollten die Verletzten des Anschlags am Samstag im Krankenhaus besuchen.

Während der Gedenkveranstaltung in Barcelona kam es zu einem Zwischenfall, als rund 20 Rechtsextreme mit Schlagringen demonstrierten. Einige hielten Schilder hoch, auf denen zu lesen war "Keine Moscheen mehr" und "Flüchtlinge sind nicht mehr willkommen". Es kam zu einem Handgemenge mit Teilnehmern der Gedenkveranstaltung.

Krisenstab einberufen

Terror ist kein neues Phänomen für Barcelona: Bereits 2008 vereitelte die Polizei in der katalanischen Hauptstadt eine Anschlagsserie, die – so wie einst in Madrid – das Nahverkehrssystem zum Ziel haben sollte. 2015 flog ein weiterer großer Komplott auf. Und erst vergangenen April wurden drei Islamisten verhaftet, die mit den Anschlägen von Brüssel 2016 in Zusammenhang stehen sollen. Und selbst einige Spuren der Täter der Anschläge vom 11. September 2001 in den USA führten nach Madrid und Katalonien.

Am Wochenende soll ein Krisenstab tagen. Zusammen mit Vertretern der Zentralregierung in Madrid wollen die katalanischen Mossos d'Esquadra und die baskische Autonomiepolizei Ertzaintza die Sicherheitslage im gesamten spanischen Staat untersuchen. Katalonien und das Baskenland besitzen eigene Sicherheitsbehörden und Polizeieinheiten.

Die Online-Zeitung Público kritisiert unterdessen den spanischen Innenminister Juan Ignacio Zoido. Er habe den Mossos d'Esquadra den Zugang zur spanischen Datenbank über Bandenkriminalität und Terrorismus verweigert und deren Beitritt zu Europol und die Aufstockung um 500 Beamte verhindert. (rw, red, 18.8.2017)