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Ronald Lee Ermey, der selbst Gunnery Sergeant bei den Marines war, als Gunnery Sergeant Hartman: Selbstversicherung im soldatischen Männlichkeitsbild.

Foto: Full Metal Jacket / picturedesk / Ronald Grant Archive / Mary Evans

Die Szene vergisst man nicht, obwohl der Film schon 30 Jahre alt und die dargestellte Handlung überhaupt im Jahr 1967 angesetzt ist. Gleich zur Vorstellung brüllt der Ausbildner: "I am Gunnery Sergeant Hartman, your Senior Drill Instructor. From now on, you will speak only when spoken to, and the first and last words out of your filthy sewers will be 'Sir!'"

Wie Hartman in Stanley Kubricks "Full Metal Jacket" die Rekruten schikaniert, entspricht dem Muster, nach dem seit Jahrhunderten junge Männer auf ihre Rolle als Soldat vorbereitet werden: Demütigung und Drill, körperliche Belastung jenseits des Vorstellbaren, psychischer Stress bis an die Grenze zum Suizid.

Rotraud Perner kennt das: In ihrer psychotherapeutischen Praxis hatte sie "Rekruten, die am Rand des Selbstmordes waren", wie sie im STANDARD-Gespräch erzählt. Diese jungen Männer waren daran verzweifelt, dass die militärische Ausbildung zwei grundsätzlich auseinanderklaffende Ziele verfolgt: Da geht es einerseits darum, voll motivierte, auf dem Gefechtsfeld selbstständig das jeweils Bestmögliche erreichende, individuelle Kämpfer zu schaffen – ein Idealbild eines Helden. Oder auch: ein Zerrbild, wie man es aus der Heldenverehrung in Kriegsfilmen kennt.

Andererseits muss aus denselben jungen Männern eine Truppe geformt werden, die jederzeit blind gehorchend Befehle ausführt – wie sich schon die zu Fuß antretenden Piqueniere mit ihren langen Spießen im 15. Jahrhundert in großen Formationen gegen Reiterheere stellen mussten. Das erfordert Disziplin – und Disziplinierung.

Zweifelhafter Umgangston

In "Full Metal Jacket" sagt Sergeant Hartman klar, wer seine Ausbildung überlebe, werde eine Waffe sein, ein Abgesandter des Todes, der um Krieg beten würde – aber bis dahin seien die Männer einfach nur "Kotze, die niedrigste Form des Lebens, unorganisierte Stücke Scheiße".

Was, bitte, soll das für ein Umgangston sein? Ein militärischer? Einer, der nicht nur in Ausbildungslagern der amerikanischen Marines in den 1960er-Jahren, sondern auch heute beim Bundesheer verwendet wird?

Unvorstellbar, wie dort betont wird. Obwohl: Ähnliches wird von Rekruten und noch mehr von ehemaligen Grundwehrdienern immer wieder auch aus österreichischen Kasernen erzählt.

Noch weiter gefragt: Was soll so ein Umgangston bringen?

Gar nichts bringe das, sagt Roman Schuh, Doktor der Politikwissenschaft und im Verteidigungsministerium Leiter der Abteilung Menschenorientierte Führung und Wehrpolitik. Im Bundesheer "geht es uns um wertschätzende Kommunikation", versichert der Brigadier.

Was allerdings schon nach der Kreisky'schen Wehrdienstreform der 1970er-Jahre mit ähnlicher Selbstgewissheit erklärt wurde – wobei die Praxis an unterschiedlichen Kasernenstandorten und bei unterschiedlichen Truppenteilen damals wie heute völlig verschieden sein konnte: Stets gibt es Garnisonen (oder in diesen einzelne Kompanien) mit besonders schlechtem Ruf.

Und mit Ausbildnern, die sich den Sergeant Hartman zum Vorbild nehmen: "Weil ich hart bin, werdet ihr mich nicht mögen. Aber je mehr ihr mich hasst, desto mehr werdet ihr lernen."

Höchstleistungen: Körper und Geist in Balance

Perner ist dieses Muster wohlvertraut: "Dasselbe hast du im Sport auch. Manche Trainer glauben ja, dass eine Beschimpfung die Wut der Sportler steigert und dass diese Wut die Leistung steigert."

Aber genau das funktioniere nicht. Aus psychotherapeutischer Sicht müsse man davon ausgehen, dass Menschen erst dann Höchstleistungen erbringen, wenn Geist und Körper in Balance seien.

Warum aber gibt es dann diesen menschenverachtenden Umgang? Perner: "Sportler sind teilweise als paramilitärische Gruppe organisiert. Und teilweise gehört die Beschimpfung, vor allem die Beschimpfung des Gegners, auch zur psychologischen Kriegsführung."

Perner sieht die Ursprünge des rüden Tons beim Militär und in ähnlich hierarchisch organisierten Strukturen in Männlichkeitsidealen des 16. Jahrhunderts – der "soldatische Mann" jener Zeit kämpfte viel mehr noch als heute "Mann gegen Mann". Und das werde bis heute weitgehend unreflektiert nachgespielt.

Kriegsfilme, auch Antikriegsfilme wie "Full Metal Jacket", lieferten immer wieder dieselben Vorlagen für das männliche, ist gleich soldatische, Rollenbild: "Das Klischee, dass ein Rekrut zu Tode gehetzt wird, ist ein verbreitetes Filmklischee", erläutert Perner.

Keine Meldung

Brigadier Schuh ist überzeugt, dass sich die Bilder – und die daraus abgeleitete Praxis – denn doch gewandelt hätten: "Ich glaube, es ist viel, viel besser geworden. Uns geht es darum, dass die Menschen die Führung besser verstehen, an der Heeresunteroffiziersakademie gibt es mehrere Unterrichtsstunden, die wir nur dahinein investieren." Jener Ausbildungsoffizier, der an der Akademie in Enns eine Pistolenpatrone auf den Katheder stellte ("die ist für den Blödesten von Euch gedacht"), ist dort wohl nicht mehr im Dienst.

Typisch für die Verhältnisse im Heer ist allerdings auch, dass sich die solcherart bedrohten Unteroffiziere – immerhin Berufssoldaten – zwar in der Unteroffiziersmesse bei einem Bier über den ungeeigneten Offizier beklagten; dass aber keiner Meldung beim Schulkommando machte.

Das war in den 1980er-Jahren – inzwischen sind die Regeln strenger, die pädagogischen Elemente stärker geworden. Und noch bevor ein Ausbildner oder eine Ausbildnerin auf Rekruten losgelassen wird, werde überprüft, ob er oder sie dafür auch geeignet ist, sagt Schuh: "Da machen wir Tests, bei denen wir speziell die psychischen und pädagogischen Haltungen und Fähigkeiten sowie die Wertorientierung abfragen." In der weiteren Karriere gibt es acht unterschiedliche Beratungsformate, die den Führungskräften gerade auch auf unterster Ebene Begleitung und Unterstützung geben.

"Konkurrenzkampf des Schreckens"

Aber insgesamt stelle das Bundesheer eben doch einen "Schmelztiegel der Gesellschaft" dar, meint Schuh. Ganz stimmt das natürlich nicht. Die Historikerin und Journalistin Barbara Tóth hat kürzlich im "Falter" angemerkt, dass die Gesellschaft heute total durchgeschichtet wäre: "Früher war der Militärdienst eine Art klassenübergreifender Initiationsritus. Generationen österreichischer Männer brachte er bei, nicht nur auf Zeit kaserniert und einer Hierarchie ausgeliefert zu sein, sondern auch über alle Standes- und Milieugrenzen hinweg eine Zweckgemeinschaft bilden zu müssen."

Heute aber schotte sich der Mittelstand ab, er wähle für seinen Nachwuchs den prestigeträchtigen Zivildienst, "um sich von jenen abzugrenzen, die es nur in die berufsbildenden Schulen schaffen, in die Lehre und dann halt ins Bundesheer".

Dies mit der Folge, dass da auch weniger geeignete Personen in Ausbildungs- und Führungsverantwortung drängen.

"Sadisten" nennt Perner diese Figuren – und hat sehr wenig Verständnis für sie: "Wer Angst hat, für einen Schwächling gehalten zu werden, der überkompensiert mit Brutalität und Insignien, das führt zu einem Konkurrenzkampf des Schreckens. Außerhalb des Militärs würde so ein Verhalten nicht geduldet, aber beim Bundesheer gibt es einige, bei denen solches Verhalten toleriert wird."

Schlechte Beispiele auf unterster Ebene

Die Therapeutin Perner, die selber zeitweise in Wiener Neustadt an der Theresianischen Militärakademie unterrichtet hat, hat auch den Eindruck, "dass die Offiziere, die eine gute Ausbildung in Menschenführung bekommen, dann einen anderen Karriereverlauf haben, sie bilden ja selber keine Rekruten mehr aus". Solcherart würden die schlechten Beispiele auf der untersten Ebene weiterhin Schule machen.

Apropos Schule: Als eine "Schule der Nation" wurde das Militär im 19. Jahrhundert mit der Einführung der Wehrpflicht ja gesehen – als Erziehungsanstalt, die allen jungen Männern ein Mindestmaß an Zivilisiertheit und an Manneszucht vermitteln sollte. Das zu einer Zeit, als die Disziplin auch im zivilen Schulwesen noch mit dem Rohrstock hergestellt wurde.

Und wo das Kinderlied "Wer will unter die Soldaten" gesungen wurde:

"Doch vor allem muß Courage
haben jeder, jeder Held
Sonst erreicht ihn die Blamage
zieht er ohne sie ins Feld."

Dass Ordnung und Gehorsam auch im heutigen Bundesheer notwendig sind, steht für Brigadier Schuh außer Zweifel: "Wir müssen die Leute auf den Einsatz vorbereiten. Dazu gehört Drill, dazu gehört aber vor allem Vertrauen und Respekt. Und diesen Respekt erwirbt man nicht durch Angst."

Im Bundesheer müsse man sich "unserer eigenen Militärkultur bewusst sein – und die ist anders, als sie in der Sowjetunion oder der Türkei war. Da ist der alltägliche Umgang ein ganz anderer." Es liege in der Natur des Militärs, dass der Ton "natürlich anders ist, als ihn jemand vielleicht aus der Schule gewohnt ist. Wenn du auf dem Schießplatz stehst, dann bedarf es allein aus Gründen der Sicherheit einer klaren, kurzen Sprache und eines deutlichen Tons." Das habe aber nichts mit Beschimpfungen oder Demütigungen zu tun.

Nachsatz: "Aber ein paar Mal kommt eben etwas heraus."

Und was ist das, was da herauskommt? Für Perner ist es vor allem Energie: "Der Atem, der jemanden aus nächster Nähe trifft, das ist ein Energiestoß."

Beherrschungsrituale

Deswegen wird ja in "Full Metal Jacket" gezeigt, wie Sergant Hartmann einem Rekruten direkt ins Gesicht schreit. Das sind Beherrschungsrituale. Das ist Verletzung der persönlichen Sphäre. Das ist Demütigung. Das ist Gewalt.

Es entspricht der – auch bei Hitlers Wehrmacht gängigen – Theorie, dass der beste Soldat einer sei, dessen Persönlichkeit gebrochen und dann (etwa im nationalen Sinn) wieder aufgebaut worden ist. Und diese Tradition der Demütigung setzt sich in manchen militärischen Organisationen bis heute fort: "Das faschistische Soldatenbild findet man heute nicht zuletzt bei den Islamisten, wenn der IS seinen Anhängern und Kämpfern eintrichtert, dass das Leben nichts wert wäre", sagt Perner.

Gute Soldaten, da ist sie mit Schuh einer Meinung, bekomme man auf diese Art aber nicht. Ein Korpsgeist, der aus Gewalt und Einheit gebildet würde, sei nicht mehr zeitgemäß – ebensowenig die Idee, "dass sich ein Mann als Kampfmaschine mit Härte und Grausamkeit identifizieren muss".

Ein wenig hat zu einem professionelleren Umgang mit dem soldatischen Selbstbild auch beigetragen, dass im Bundesheer nun auch Frauen dienen. Dass sich das Militär (gerade auch das Bundesheer) lange gegen die Aufnahme von Frauen gewehrt hat, sieht Perner in dem irrationalen Wunsch begründet, besonders "männlich" im Sinne von "unverletzlich und unsterblich" sein zu wollen – gerade weil man als Soldat eben in besondere Lebensgefahr gerät. Das immerhin ändere sich.

Wobei auf der anderen Seite das Kriegerische immer mehr ins Zivilleben eindringt: "Man sieht auf allen Ebenen Sprachverrohung, ob in der Schule, dem Sport oder der Politik." Gunnery Sergeant Hartmann ist auch für manchen zivilen Vorgesetzten ein unschönes Rollenvorbild. (Conrad Seidl, 20.8.2017)