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Die staatlich geführten Anstalten haben in Großbritannien oft ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert. Private Gefängnisse werden oft nach modernen Anforderungen und für riesige Häftlingszahlen errichtet.

Foto: Reuters / Eddie Keogh

Der Mann ist stark abgemagert, seine Haut gelblich, an vielen Stellen zeugen Narben von Selbstverletzungen. "Er kommt mit der Haft überhaupt nicht mehr zurecht", sagt James Wards Schwester April unter Tränen. Elf Jahre nach einer Verurteilung zu zwölf Monaten steckt der psychisch kranke Engländer noch immer in Haft. Offizieller Grund: zu seinem eigenen Schutz, weil er sich selbst verletzt.

Grundlage ist ein Gesetz, das der High Court bereits 2007 für illegal erklärt hat und das vom Parlament vor fünf Jahren abgeschafft wurde. Rund 3.300 britische Strafgefangene sitzen wegen Gefährdung der Öffentlichkeit, also zu einer Art Sicherheitsverwahrung, hinter Gittern, obwohl ihre eigentlichen Strafen längst abgelaufen sind. "Die zuständigen Minister müssen dringend Abhilfe schaffen", sagt Nick Hardwick, Vorsitzender der Bewährungskommission.

Chronische Überfüllung

Mit Stand von vergangener Woche bevölkerten 86.368 Menschen die Strafanstalten von England und Wales. Kein anderes Land Westeuropas verurteilt auch nur annähernd so viele seiner Bürger. Die Gefängnisse leiden an chronischer Überfüllung. Gewalttätige Ausschreitungen und mehr Selbstverletzungen sind die Folge. Angriffe auf das Aufsichtspersonal sind an der Tagesordnung.

Die Vereinigung der Gefängnisdirektoren PGA führt dies auf die starke Reduzierung der Angestellten durch die konservative Sparpolitik der vergangenen Jahre zurück. Waren bei Amtsantritt der konservativ-liberalen Koalitionsregierung 2010 noch rund 25.000 Angestellte mit der Aufsicht der Gefangenen beschäftigt, sank die Zahl bis 2015 auf 18.000.

Privatisierungspolitik

Elf der 131 "Gefängnisse Ihrer Majestät" – Her Majesty's Prisons, abgekürzt HMP – werden von Privatfirmen betrieben. Das ist Teil der Privatisierungspolitik der konservativen Regierung in den 1990er-Jahren, die auch in dreizehn Jahren Labour-Regierung beibehalten wurde. Sein Sparprogramm begründete der damalige Justizminister Chris Grayling 2012 unter anderem damit, staatliche Gefängnisse müssten die Effizienz privater Anstalten erreichen.

Eine Milchmädchenrechnung: Während eine Reihe staatlicher Gefängnisse ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert haben, wurden die privaten Einrichtungen nach modernen Anforderungen und für riesige Gefangenenzahlen errichtet. Dadurch können die Betreiber wie die global tätige Firma G4S oder Sodexo mit erheblich weniger Personal auskommen.

Dass privat nicht immer gut ist, stellt sich regelmäßig heraus, wenn es in den Großanstalten mit bis zu 1.600 Gefangenen zu gewalttätigen Unruhen kommt, wie 2014 in Oakwood bei Wolverhampton.

Notwendige Anhörungen verschoben

Experten wie Hardwick und eine parteiübergreifende Initiative im Parlament treten seit längerem für eine rasche Reduzierung der Gefangenenzahlen ein, bei der Regierung stoßen sie auf taube Ohren. Die bis Juni amtierende Justizministerin Elizabeth Truss setzte auf bessere Rehabilitierung und die Bekämpfung des Drogenkonsums hinter Gittern. Ihr Nachfolger David Lidington hat sich programmatischer Äußerungen enthalten. Dass der als eher liberal geltende Politiker aber binnen sieben Jahren bereits der fünfte Leiter des Hauses ist, deutet auf die mangelnde Priorität hin, die der Regierungsapparat der Strafjustiz einräumt.

Für Fälle wie die von James Ward hat das Justizministerium jetzt Klärung angekündigt. Im vergangenen Jahr seien 900 Sträflinge, die aufgrund des "Schutzes der Öffentlichkeit" (IPP) inhaftiert waren, entlassen worden, heißt es. Allerdings müssen die notwendigen Anhörungen von Hardwicks Bewährungskommission immer wieder verschoben werden, nicht zuletzt, weil die Beurteilungen durch sachkundige Psychiater fehlen. April Ward fürchtet um ihren Bruder: "Wenn das so weitergeht, bringt er sich noch um." (Sebastian Borger aus London, 18.8.2017)