Martin Schulz kurz vor dem Interview mit dem ZDF vor wenigen Tagen.

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Über diese Karikatur aus der "Berliner Zeitung" lacht die deutsche Hauptstadt: Kanzlerin Angela Merkel sitzt schlaflos im Bett, weil sie einen Albtraum hatte, den sie so beschreibt: "Die SPD versemmelt auf ewig ihren Wahlkampf, und ich muss für immer weitermachen."

Es steckt ja auch mehr als bloß ein Körnchen Wahrheit darin. Man erinnere sich an den Wahlkampf 2009. Frank-Walter Steinmeier (SPD), heute Bundespräsident, versuchte Merkel das Kanzleramt abzuluchsen und schaffte nur 23 Prozent – das schlechteste Wahlergebnis aller Zeiten.

Dümpeln mit Martin Schulz

2013 probierte Peer Steinbrück (SPD), heute pensionierter Vortragsreisender, sein Glück und scheiterte ebenso. Immerhin lautete das Ergebnis 25,7 Prozent. Derzeit dümpelt die SPD mit Martin Schulz an der Spitze zwischen 23 und 25 Prozent herum. Es schaut also fünf Wochen vor der Wahl nicht wirklich rosig aus für die deutschen Sozialdemokraten.

Aber offensichtlich wacht die SPD jetzt auf. Sie will Merkel bis zur Wahl härter rannehmen. Lange Zeit tat sie sich damit schwer. Zunächst, im Jänner und Februar, reichte der bis heute nicht recht erklärliche Hype um Schulz aus, um die Genossen zu erwärmen und ihre Herzen höherschlagen zu lassen.

Danach war Schulz recht zurückhaltend, was nicht ganz unverständlich ist. Immer wenn jemand aus der einen Koalitionspartei die andere kritisiert, kommt unweigerlich die Bemerkung: Ihr wart ja auch vier Jahre lang in diesem Bündnis, hättet ihr doch längst machen können.

Weitgehende Selbstverleugnung

Doch die Schulz'sche Selbstverleugnung ging schon ziemlich weit. Man erfuhr es erst nach der Wahl im strategisch wichtigen Nordrhein-Westfalen (14. Mai), staunte dann aber nicht schlecht, als bekannt wurde, dass sich Schulz in diesem Wahlkampf extra mit seinen Bundesthemen zurückgehalten hatte, um der damaligen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) einen passablen Wahlkampf mit Landesthemen zu ermöglichen.

Die SPD im Land hui, im Bund zu verstecken? Es war eine merkwürdige Strategie, die an Merkwürdigkeit aber noch übertroffen wurde, als Schulz auf dem SPD-Wahlparteitag im Juni plötzlich Merkel sehr scharf angriff und ihr gleich einen "Anschlag auf die Demokratie" vorwarf, weil sie sich inhaltlich nicht auseinandersetzen wolle.

Jetzt scheint man Maß und Mitte gefunden zu haben: inhaltliche Auseinandersetzung ohne überzogene Attacken, die Merkel gleich in die Nähe von Terroristen rücken.

Elend der deutschen Sozialdemokratie

Eine solche Strategie wäre zu begrüßen – nicht, weil das Elend und die Plagerei der deutschen Sozialdemokraten kaum noch zu ertragen sind, sondern weil die Deutschen ein Recht auf einen Wahlkampf haben, der den Namen auch verdient. Immerhin werden am 24. September die Weichen für die nächsten vier Jahre gestellt. Auch wenn es Deutschland gutgeht, es gibt genug zu diskutieren.

Warum brauchen so viele Menschen mehrere Jobs? Warum finden immer weniger junge Familien bezahlbare Wohnungen? Wie viele zusätzliche Polizisten braucht das Land?

Schulz tut gut daran, dies in den Wochen vor der Wahl zu thematisieren. Er wird vielleicht keine Antworten bekommen, aber die Fragen sollten schon gestellt werden. Das ist die Aufgabe, die dem Herausforderer zufällt, erst recht, wenn die Kanzlerin hauptsächlich "Weiter so" verkündet. Es ist noch nicht zu spät dafür. (Birgit Baumann, 17.8.2017)