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Mitarbeiter von Begräbnisteams im Einsatz nach dem Erdrutsch.

Foto: REUTERS/Afolabi Sotunde

Freetown/Wien – In Sierra Leone begann am Mittwoch eine einwöchige Staatstrauer um die mehr als 300 Toten und noch immer mindestens 600 Vermissten nach dem verheerenden Erdrutsch vom Montag. Die offiziell veröffentlichten Opferzahlen sind allerdings noch immer nur Schätzungen, da niemand wirklich den Überblick über das Desaster hat.

Während neue Regenfälle rund um die Hauptstadt Freetown erwartet werden, graben Soldaten und Hilfskräfte unter Zeitdruck weiter nach Verschütteten. Immer mehr wird aus der Rettungs- eine Bergeaktion. Denn die letzten Überlebenden wurden am Dienstagmorgen aus dem Schlamm gerettet. Die ersten Todesopfer wurden im nahegelegenen Waterloo begraben. 150 Menschen, die verstümmelt und zum Teil verwest waren, wurden unter christlichen und muslimischen Gebetsgesängen eingegraben. Identifiziert konnten sie noch nicht werden. Ihre Gräber wurden daher speziell markiert. Sie liegen direkt neben Opfern der letzten Tragödie in Sierra Leone: den Ebola-Toten.

Mit dem Fahrrad zur Unglücksstelle

Diese wurden damals unter anderem von Andrew Kondoh begraben, der während der Epidemie im Land von Ende 2014 bis Anfang 2016 einige Begräbnisteams koordinierte. Eigentlich wollte er nie wieder Tote in so großer Zahl sehen, doch als er am Montag um sechs Uhr morgens die TV-Bilder des Erdrutsches sah, stieg er auf sein Fahrrad. Aus der Hauptstadt Freetown sind es rund 25 Kilometer bis zum Unglücksort Regent am Fuße des Zuckerhutbergs.

"Es war furchteinflößend", sagt Kondoh im Gespräch mit dem STANDARD: "Das Wasser schoss den Berg herunter, Menschen waren in ihren Häusern verschüttet." An der Unglücksstelle habe es wie auf einer glatten Ebene ausgesehen, erinnert er sich: "Der Schlamm hatte alles bedeckt. Wir gruben mit unseren bloßen Händen nach den Vermissten", sagt Kondoh. Passende Geräte oder Fahrzeuge seien nicht vorhanden gewesen.

Kritik an Regierung

Laut dem 39-Jährigen habe es lange gedauert, bis die Regierung vor Ort war: "Zuerst waren es Freiwillige, dann kamen die Polizisten und die Helfer vom Roten Kreuz. Die offiziellen Stellen ließen auf sich warten." Die Verschütteten hätten Angehörige und Freunde auf dem Handy angerufen: "Sie sagten immer wieder, dass sie noch in den Trümmern sind. Doch wir wussten nicht wo. Uns fehlte die Ausrüstung", beschreibt Kondoh die Situation vor Ort.

Dass so viele Menschen von dem Erdrutsch betroffen sind, dafür machen Experten und auch Kondoh die fehlende Stadtplanung rund um die Hauptstadt verantwortlich: "Freetown ist völlig überfüllt", sagt Kondoh. "Viele Flüchtlinge sind nach dem Bürgerkrieg nicht mehr gegangen. Außerdem sind alle Ministerien und die besten Schulen hier. Das zieht die Leute an." Gleichzeitig gebe es zu wenig leistbaren Wohnraum. Die Menschen würden sich informelle Siedlungen bauen, die vor Überflutungen und Erdrutschen nicht sicher sind. (Bianca Blei, 16.8.2017)