Wahlbeisitzer kontrollieren Pässe, zählen die Stimmen und sorgen für einen reibungslosen Ablauf der Wahl. Nach etlichen dokumentierten Pannen bei der vergangenen Präsidentschaftswahl, die schließlich zur Aufhebung führten, wird die ehrenamtliche Tätigkeit aber immer unbeliebter.

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Irgendwann kommt in lange geübten und funktionierenden Systemen fast unvermeidlich der Moment, da reißt der Schlendrian ein. Als vergangenes Jahr die Bundespräsidentschaftswahl wiederholt werden musste, weil die strengen Regeln zur Auszählung von Wahlkarten nicht überall befolgt worden waren, ging es nicht um vermutete Manipulation oder Missbrauch, es war die Nachlässigkeit, die sich langsam in die heimische Demokratie eingeschlichen hatte.

Und plötzlich stand eine Gruppe von ehrenamtlich arbeitenden Staatsbürgern im Zentrum eines rechtsstaatlichen Super-GAUs, die zuvor kaum Beachtung gefunden hatte: die Wahlbeisitzer.

Keine verpflichtende Ausbildung

Zwischen 50.000 und 70.000 Österreicherinnen und Österreicher sind bei einer bundesweiten Wahl als Beisitzer im Einsatz, um Stimmzettel auszuhändigen, Pässe zu kontrollieren, Namen abzustreichen und schließlich die Kreuzerln zu zählen. Ihnen kommt eine "eminente Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des österreichischen Wahlsystems zu", stellte der Verfassungsgerichtshof im Zuge der Wahlaufhebung im Jahr 2016 fest. Dennoch gibt es bis heute keine verpflichtende Ausbildung für die Wahlhelfer. Das Innenministerium bietet zwar E-Learning auf freiwilliger Basis an, theoretisch ist aber nicht einmal eine grundlegende Kenntnis des Wahlrechts vorgeschrieben.

Experten sind sich einig: Das sollte sich schleunigst ändern. "Wir müssen das Augenmerk endlich auf verpflichtende Schulungen richten", ist der Politikwissenschafter Peter Filzmaier überzeugt. Es sei dann aber auch die Auszahlung einer "bundeseinheitlichen und angemessenen Entschädigung" nötig: "Einer Wahl beizusitzen ist eine Dienstleistung an der Demokratie, das gehört entsprechend honoriert – nicht nur mit Würsteln und einem Kleinbetrag", sagt Filzmaier.

Immer weniger Motivation

Darüber hinaus wird es immer schwieriger, überhaupt willige Beisitzer zu finden. "Früher war das Problem, dass es sich um eine etwas fade Aufgabe handelt, bei der Menschen schnell schlampig werden", sagt Melanie Sully, britische Politologin und Direktorin des in Wien ansässigen Instituts für Go-Governance. "Seit der Wahlaufhebung kommt die Nervosität hinzu, dass man für ein Wahldesaster verantwortlich gemacht werden könnte."

Die Motivation, sich am Wahlsonntag ehrenamtlich zu engagieren, sei aktuell nicht besonders hoch, stellt auch Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl fest. Für die Bestückung der Wahlbehörden – die neben den Wahlhelfern aus einem Wahlleiter besteht – sind die Parteien zuständig. Die Posten werden dem letzten Wahlergebnis entsprechend vergeben. Riedl fordert nun, dass ein Bußgeld verhängt wird, wenn eine Partei nicht ausreichend Beisitzer nominiert.

FPÖ und Grüne tun sich besonders schwer

Probleme, genügend Leute zu finden, hätten vor allem FPÖ und Grüne, erklärt Riedl. Vielerorts wird aber nicht einmal damit gerechnet, dass die vorgesehene Anzahl an Beisitzern zustande kommt – und eine mehr als 70- bis 80-prozentige Auslastung gar nicht erst angestrebt (siehe Infobox unten). Außerdem beklagen Gemeinden immer wieder, dass nominierte Beisitzer einfach nicht erscheinen würden – was keine Konsequenzen hat.

Ideen, wie das System verbessert werden könnte, gibt es einige. Sully und Filzmaier plädieren dafür, dass auch die Bevölkerung sowie unabhängige Experten als Wahlbeisitzer fungieren sollten. Die britische Politologin weist darauf hin, dass sich Österreich bereits 1990 in einem Dokument der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) genau dazu bekannt hat: "Es passiert nichts, obwohl es eine Verpflichtung gibt", kritisiert Sully. Im Innenministerium wird auf Anfrage darauf hingewiesen, dass das bei der nächsten Wahlrechtsreform "gerne beachtet" werden könne.

Filzmaier hält ein "Feldexperiment mit einer Mischform" für ein "realistisches Ziel": Demnach würden Wahlbeisitzer teilweise von den Parteien bestellt, zusätzlich könnten Freiwillige ohne Parteibindung mithelfen.

Wahlreform "nach Wahl"

Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) hatte einst gefordert, Wahlbeisitzer wie Schöffen zufällig auszuwählen und zu verpflichten – womit er damals weder beim politischen Gegner noch in seiner eigenen Partei auf große Zustimmung stieß. Filzmaier sieht hier vor allem das Problem der Sanktionierung: "Will man wirklich Geldstrafen verhängen oder Unwillige einsperren?" Würde man ausschließlich auf Freiwilligkeit setzen, sei hingegen einerseits nicht klar, ob sich genug Interessierte melden, andererseits bestehe auch die Gefahr, dass "rechts- oder linksradikale Gruppen mobilisieren", sagt der Politologe.

Kurz vor der Wiederholung der Präsidentenstichwahl wurde im Vorjahr eine kleine Wahlrechtsreform beschlossen, durch die unter anderem ein zentrales Wählerregister und Wahlkuverts ohne Lasche eingeführt wurden. Angekündigt wurden auch gleich weitere Neuerungen für 2017. Fragt man heute in den Parteien nach, bekommt man einhellig zur Antwort: Darüber diskutieren wir dann nach der Wahl wieder. (Katharina Mittelstaedt, 16.8.2017)