Die Versuchung ist groß, jetzt zu sagen: Das wird nix mehr mit der SPÖ und der Wahl. Die Verhaftung des israelischen "Kanzler-Beraters" Tal Silberstein wegen Verdachts der Geldwäsche ist nur die letzte Katastrophe in einer Reihe von schweren Fehlern. Und das hat ziemlich viel mit Christian Kern, Kanzler und SPÖ-Vorsitzender, zu tun.

Kern hat vor etwas mehr als einem Jahr die SPÖ übernommen, weil sie nach acht Jahren unter Werner Faymann abgewirtschaftet und inhaltlich leer war. Er startete mit einer blendenden, kurzen Rede, aus der man entnehmen konnte, dass hier jemand das Mittelmaß, das sich auch übers Land gelegt hat, überwinden möchte.

Kern hätte im Herbst 2016 in Neuwahlen ein neues Mandat vom Wähler suchen müssen und wohl auch wollen. Da kam ihm die Verlegung der Bundespräsidentenwahl dazwischen. Und die ÖVP ging auf offene und verdeckte Obstruktion.

Kern setzte hingegen auf die "Vernünftigen" in der ÖVP. Da war aber nur Reinhold Mitterlehner. Sebastian Kurz arbeitete unbeirrt und sehr geschickt auf seine Machtübernahme und auf den Koalitionsbruch hin.

Kein Kanzlerbonus

Kern ist der Kanzler. Aber er hat keinen Kanzlerbonus, Kurz liegt seit mindestens einem halben Jahr konstant in den persönlichen Werten vorn. Der junge Außenminister verkörpert das akzeptable Gesicht des Rechtspopulismus, viele, die halb widerwillig zur FPÖ geflohen sind, freunden sich mit Kurz an.

Kurz hat eine verschworene Truppe, Kern eine zerstrittene. Der ehemalige Topmanager hat es verabsäumt, in der SPÖ eine Struktur aus "Kalibern" aufzubauen, die für eine moderne Sozialdemokratie stehen. Coole Instagram-Fotos sind zu wenig. Und er lässt sich von zu vielen, zu unterschiedlichen "Beratern" leiten.

Handicap Niessl

Kern hat allerdings ein immenses Handicap: Der rechte Sozialdemokrat Niessl im Burgenland hintertreibt die Linie und kollaboriert mit der FPÖ. Kaum verkündet Kern die soziale Komponente als Wahlkampfthema, kommt Niessl und sagt: Aber die Flüchtlingsfrage ist auch ganz wichtig.

Im alles entscheidenden Wien hat Häupl die Dinge fast bis zur Parteispaltung treiben lassen. Aber ein Parteichef muss mit so etwas umgehen können.

Das ist die eigentliche Frage dieser Tage und Wochen: Hat man sich in Kern getäuscht? Und: Kommt da noch was?

Erfahrener Wirtschaftsmann

Er selbst hat jetzt noch nicht ganz schlechte Karten. Kurz ist ein beeindruckendes Talent, Kern ein erfahrener Wirtschaftsmann. Es sieht so aus, als träte das Thema von Kurz (Flüchtlinge) gegenüber Kerns Thema (Wirtschaftskompetenz) in den Hintergrund.

Kurz hält in der EU-Politik die Linie zu den osteuropäischen Nationalisten und Antidemokraten offen. Er hat sich negativ über Merkel geäußert, als diese schwach schien. Aber Merkel hat sich bewundernswert gehalten, und den Leuten dämmert in Zeiten von Trump der Wert der EU.

Vielleicht sind die Österreicher tatsächlich in einer "Wende"-Stimmung. Vielleicht wollen sie wirklich eine konservativ-rechtspopulistische Koalition aus ÖVP und FPÖ. Dann kommt es eben so. Aber sicher ist das nicht. (Hans Rauscher, 16.8.2017)