Der Teilchendetektor Atlas ist einer der Teilchendetektoren am Large Hadron Collider des europäischen Kernforschungszentrums Cern. Mehr als 7600 Forscher sind an Atlas beteiligt. Gemeinsam mit dem CMS-Detektor wurde durch Atals 2012 das Higgs-Teilchen entdeckt. Nun lieferte Atlas den ersten direkten Hinweis für Lichtstreuung.

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Andreas Hoecker ist Vizechef des Atlas-Experiments am Cern.

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Genf/Wien – Gemäß der klassischen Physik durchdringen sich Lichtstrahlen gegenseitig, ohne einander zu beeinflussen. Doch laut der Quantenphysik ist das anders: Licht kann an Licht gestreut werden. Der Prozess ist äußerst selten, und so ist es als kleiner Meilenstein zu werten, dass Physiker des europäischen Kernforschungszentrums Cern bei Genf die ersten direkten Hinweise solch eines Prozesses gemessen haben, wie sie im Fachblatt "Nature Physics" berichten.

Die Daten wurden bereits 2015 unter vier Milliarden Kollisionen von Blei-Ionen am Large Hadron Collider (LHC) beim Atlas-Experiment gemessen, die Auswertung und Verifikation dauerte bis jetzt.

STANDARD: Es sind bisher 13 Events der Lichtteilchen-Streuung gemessen worden. Ab wie vielen Beobachtungen lässt sich von einem zweifelsfreien Nachweis sprechen?

Hoecker: Das hat mit den Untergrundschwankungen der Messung zu tun: Wenn wir ein Ereignis ohne Untergrund hätten, würde schon ein Ereignis reichen. Da wir einen Untergrund von 2,6 Ereignissen erwarten, der statistisch fluktuieren kann und dann so aussehen könnte wie ein Signal, müssten wir auf etwa 15 Ereignisse kommen. Also nur um wenige mehr, als wir bereits haben – dann können wir von einem Nachweis sprechen.

STANDARD: Wann rechnen Sie mit weiteren Messungen?

Hoecker: Der Large Hadron Collider am Cern läuft meist mit Protonen, damit messen wir zum Beispiel die Eigenschaften des 2012 entdeckten Higgs-Bosons oder suchen nach neuen Teilchen. Ende 2018 haben wir noch einmal einen Durchlauf mit Schwerionen geplant – da sollten wir dann über die Nachweisgrenze für die Lichtstreuung hinauskommen können.

STANDARD: Wie lange werden die Auswertungen dauern?

Hoecker: Das ist immer schwer zu sagen, normalerweise machen wir dafür keine Vorhersagen. Ich würde aber hoffen, dass es nicht viel länger als ein Jahr dauern wird.

STANDARD: Warum ist der direkte Nachweis von Licht-an-Licht-Streuung so schwierig?

Hoecker: Weil sie so selten ist. Was passieren muss, ist, dass die Lichtteilchen eine sogenannte Vakuumpolarisation machen. Dabei werden virtuelle Teilchen produziert, und über diese kommt es zur Streuung der Lichtteilchen untereinander. Dieser Prozess wird durch die vierte Potenz der elektromagnetischen Kopplungskonstante unterdrückt. Das ist also ein sehr seltener Prozess, und wir brauchen viele Kollisionen von Blei-Ionen, um ihn zu beobachten.

STANDARD: Klassisch ist die Lichtstreuung nicht vorgesehen, wie lässt sich das Phänomen quantenmechanisch erklären?

Hoecker: Laut den klassischen Maxwell-Gleichungen würde Licht einfach durch Licht hindurchfliegen, ohne zu interagieren. Aber durch die Unschärferelation von Werner Heisenberg ist es möglich, den Energieerhaltungssatz für kurze Zeit zu brechen. So kann Materie virtuell produziert werden, wenn sie sofort danach wieder vernichtet wird. Diesen Prozess nennt man Vakuumpolarisation. Bereits Werner Heisenberg und Hans Euler haben vor mehr als 80 Jahren herausgefunden, dass durch diese Möglichkeit Lichtstreuung tatsächlich quantenmechanisch stattfinden kann, wenn hochenergetische Lichtteilchen oder ein starkes elektromagnetisches Feld aufeinander zufliegen.

STANDARD: Welche Feldstärke braucht es dafür?

Hoecker: Die kritische Feldstärke, die damals von Heisenberg ausgerechnet worden ist, wo diese nichtlinearen Effekte auftreten, ist ungefähr 10^18 Volt pro Meter. Unterhalb dieser Feldstärke sind die Maxwell-Gleichungen gültig, und wenn man darüber hinausgeht, kommen nichtlineare quantenelektrodynamische Effekte ins Spiel. Die Feldstärke, die durch die Kollision von Blei-Ionen im LHC produziert wird, kann bis zu 10^25 Volt pro Meter erreichen. Wir sind also einige Größenordnungen darüber, daher können wir diese Effekte auch sehen.

STANDARD: Inwiefern geben die jetzigen Messungen Aufschluss über neue Physik?

Hoecker: In dieser Messung gibt es keine Hinweise auf neue Physik jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik. Die Beobachtungen bestätigen die Quantenelektrodynamik. Aber dennoch handelt es sich dabei um ein sehr seltenes Phänomen, das noch nie direkt nachgewiesen werden konnte. Seit den 1970ern bemühen sich Physiker um Nachweise, bisher gab es aber nur indirekte Hinweise. Die Schönheit dieser Beobachtung ist extrem: Dass Licht sich an sich selbst streut, ist ein sehr beeindruckendes Phänomen. (Tanja Traxler, 16.8.2017)