Hinaufgeklettert: Thomas Szekeres geht sein neues Amt als Ärztekammerchef in bewährter Taktik mit Überzeugungswillen an.

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Auf den ersten Blick ist er ein ernsthafter Mensch. Überwiegend sorgenvoll, könnte man sagen, und mahnend immer dann, wenn es um Veränderungen im österreichischen Gesundheitssystem und die damit verbundenen möglichen und unmöglichen Beeinträchtigungen für die Ärzteschaft geht. Als Bedenkenträger hat Thomas Szekeres schon in vielen Gesundheitsagenden aufhorchen lassen. Bisher Präsident der Wiener Ärztekammer, hat er Ende Juni die österreichweiten Agenden der Ärzteschaft als Nachfolger von Artur Wechselberger übernommen.

Szekeres geht das neue Amt gelassen an – dass er seit Ende Juni nicht mehr Herr seines Terminkalenders ist, ist einstweilen die größte Umstellung, sagt er trocken, und hinter der ernsten Fassade blitzt der Schalk durch. Den sieht man erst auf den zweiten Blick. Szekeres' pointierte Zusammenfassungen komplexer Situationen können sehr komisch sein.

Wie es an der Ärztefront zugeht, weiß Thomas Szekeres aus eigener Anschauung, die Hälfte seiner Zeit ist er an der Labormedizin im AKH tätig. Dort hat er sich vor drei Jahren mit den Ärzteprotesten rund um das Arbeitszeitgesetz seine Sporen als einer verdient, der auch vor Streiks nicht zurückschreckt. Sein Grundtenor: Ärzte und Ärztinnen sind die Protagonisten des gesamten Systems – nach Szekeres' Geschmack sind dem Berufsstand in den letzten Jahren zu viele Stakeholder an den Karren gefahren.

Nachteile wittern

"Ich versuche, das Gesundheitssystem zum Positiven weiterzuentwickeln", sagt er an einem heißen Julimontag und bestellt im Eissalon am Hohen Markt in Wien "drei Kugeln: Pistazie, Vanille und Maroni". An seinen etwas jammrigen Tonfall hat man sich schnell gewöhnt. Während er sein Eis löffelt, zählt er wie aus dem Effeff sämtliche Missstände auf.

Im neuen Gesetz zur Primärversorgung fehlten seiner Einschätzung nach wesentliche Punkte, was die Anstellungsverhältnisse betrifft, und er habe bis zuletzt versucht, entsprechende Optimierungen reinzuverhandeln. Auch Elga, die elektronische Gesundheitsakte funktioniere nicht so, wie sich die Ärzte das vorgestellt haben, und ja, auch das Brustkrebs-Screening laufe nicht optimal, weil eben die Ärzte zu wenig involviert gewesen seien.

"Das alles haben wir vorausgehen", sagt Szekeres. Was er meint: Wir haben recht gehabt. In seiner Amtszeit will er den Einfluss der Ärzteschaft im österreichischen Gesundheitssystem ausbauen und an diversen Verhandlungsschauplätzen präsent sein.

Aufstockung der Mittel

"Es geht schließlich darum, unser solidarisches Gesundheitssystem zu sichern", sagt er und wischt das Argument, der österreichische Staat habe nur begrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung, vom Tisch. "Wer sagt denn eigentlich, dass die Gesundheitsausgaben immer so streng ans Bruttoinlandsprodukt gekoppelt sein müssen und eine gewisse Höhe nicht übersteigen dürfen?", stellt er in den Raum und fordert eine Aufstockung der Mittel.

In einer immer älter werdenden Gesellschaft mit einem zunehmenden Anteil chronisch Kranker müsse die Politik eben auf solche Veränderungen reagieren und mehr Geld ins System pumpen. "Wir Ärzte sitzen schließlich mit den Patienten in einem Boot," sagt er, und irgendwie klingt das in diesem Zusammenhang fast wie eine Drohung.

Szekeres' Argumentationsketten sind schnell, präzise und können blitzschnell eine Breitseite haben. "Das habe ich immer gerne gemacht, mich für andere einzusetzen", sagt er lammfromm – und zwar schon seit seiner Schulzeit. Damals wollte Szekeres, geboren 1956 als Sohn von Ungarnflüchtlingen, nämlich den Lateinunterricht im Gymnasium abschaffen, "weil ich so schlecht war und nicht verstanden habe, warum ich etwas lernen soll, was ich später nicht brauchen werde".

Näher dran

Nach der Matura in Wien inskribierte Szekeres zwei Semester lang Jus, um dann aber doch auf Medizin umzusatteln. "Das war näher an den Menschen", kommentiert er die Entscheidung. Dass er nach Abschluss des Studiums in der Labormedizin landete, war reiner Zufall. "Es gab Ärzte im Überfluss, ich habe genommen, was ich bekommen konnte", sagt er, der sich später am Wiener AKH auf Krebsforschung spezialisierte und sich als Betriebsrat engagierte.

Legendär ist sein Streit mit der damaligen Wiener Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely in Bezug auf die neuen Arbeitszeitgesetze. Als Wehsely die von Szekeres sehr zum Vorteil der Spitalsärzte ausgehandelten Ergebnisse, nämlich 30 Prozent mehr Gehalt, am nächsten Tag öffentlich widerrief, war er wütend. "Das hat mir gar nicht gefallen", sagt er lapidar. Schlussendlich setzte sich Szekeres durch. Wehselys SPÖ-Freunde setzten den unangenehmen Aufrührer aus dem AKH unter Druck, und Szekeres, der seit seinem 16. Lebensjahr Mitglied in der SPÖ war, trat aus der Partei aus. Die Arbeit in der Ärztekammer sei sowieso nie ein Parteijob gewesen, sagt er. "Ich wurde in die Wiener Ärztekammer gewählt, obwohl und nicht weil ich bei der SPÖ war."

Guter Taktiker

Wahrscheinlich war es dann aber gerade dieser Austritt, der Szekeres in der mehrheitlich ÖVP-dominierten Ärztekammer österreichweit zum wählbaren Kandidaten gemacht hat. "Denn vorgedrängt habe ich mich wirklich nie", betont er. Wie er es schafft, die oft diametral gegenläufigen Interessen der unterschiedlichen Arztberufe in der Kammer zu bündeln?

"Wenn es wirklich um etwas geht, halten Ärzte zusammen", ist er sich sicher. Sein "nicht immer lustiger Job" sei es, die breite Gesprächsbasis aufrechtzuerhalten. Mit Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner ("sie ist sehr kompetent") habe er ein gutes Einvernehmen, mit dem neuen Hauptverbandsvorsitzenden Alexander Biach ("er ist sehr konstruktiv") ebenfalls. Mit ihm will er über das vom Hauptverband initiierte Mystery-Shopping sprechen. Diese Undercover-Methode zum Aufdecken ärztlichen Fehlverhaltens ärgert ihn. "Es ist ein Zeichen mangelnder Wertschätzung", sagt er und gibt sich gekränkt.

Neu für Szekeres ist der Fokus auf die Bundesländer. Als typisch näselnder Wiener wird er sich im Westen erst durchsetzen müssen. Von seinem Naturell her ist Szekeres bekennender Stadtmensch, familiäre Verbindungen hat er nach Osttirol. Von dort kommt Szekeres' Frau, ebenfalls Ärztin am AKH.

Manchmal kommt von dort auch der portugiesische Wasserhund seiner Schwiegereltern nach Wien zu Besuch, "ein antiallergener Hund", schmunzelt er. Ihn führt Szekeres unweit seiner Wohnung in der Herrengasse spazieren. Früher hat er dabei noch geraucht, ein Laster, das er aufgegeben hat. Jetzt geht er ins Fitnessstudio. (Karin Pollack, CURE, 26.8.2017)