Während draußen die Welt in einem Wolkenbruch unterging, begeisterte die britische Blues-Tragödin PJ Harvey im Wiener Gasometer mit Songs, die sehr gut zum Wetter passten.

Foto: Christian Fischer

Wien – Von allen im Blues von den Alten besungenen zehn biblischen Plagen aus dem Alten Testament handelt interessanterweise nur eine einzige vom Wetter. Es geht im Gegensatz zu den sieben Plagen der Endzeit aus dem Neuen Testament, wo die sengende Sonne die Menschen verbrennt, um den Hagel, der Mensch und Tier niedermäht. Gewiefte Theologen könnten hier bezüglich des Klimawandels PR-mäßig aktuell einiges herausholen. Uns reicht während des Konzerts der britischen Unheilsverkünderin und Weltenendesängerin PJ Harvey draußen vor dem Gasometer eine gute alte Sündenflut.

Während sie drinnen ihren roh gestampften Bluessong The Ministry of Defence anstimmt, bereiten sich draußen in Wien-Erdberg die Wolken nach Einbruch der Dunkelheit langsam darauf vor zu brechen: "Those are the children’s cries from the dark / These are the words written under the arch / Scratched in the wall in biro pen:_/ This is how the world will end."

Foto: Christian Fischer

PJ Harvey mag seit ihren Anfängen als wilde junge Frau mit Stromgitarre und Punk-Background im Laufe ihrer mehr als 25-jährigen Karriere viele Stationen durchlaufen haben – vom Rabatz- und Aufprust-Rock der 50Ft Queenie über ihr noch immer prächtig strahlendes Meisterwerk To Bring You My Love von 1995, über das spartanische Pianosoloalbum White Chalk bis hin zu den zuletzt mächtig gegen das System wetternden Arbeiten Let England Shake und The Hope Six Demoli tion Project. Im Grunde ist sie immer dem Blues verhaftet geblieben. Das zeigte sie nun auch während ihrer begeisternden Werkschau im Wiener Gasometer, über den man dank seiner misanthropischen Architektur bei der Anreise in der U-Bahn von anderen Konzertbesuchern derbe Namensverballhornungen hört.

Draußen geht gerade die Welt durch den waagrecht von Süden Richtung Wiener Nordbrücke schießenden Wolkenbruch unter. Im Gasometer hebt PJ Harvey dazu an, das Publikum mit sämtlichen verfügbaren klimatischen Unannehmlichkeiten auf dem Buckel, unserem lieben Herrn Jesus im Gepäck sowie der Aussicht auf tapferes Märtyrertum (oder handelt es sich doch einfach nur um Liebe?) auf ihre Seite zu ziehen:

"I was born in the desert / I’ve been down for years / Jesus, come closer / I think my time is near / I’ve travelled over dry earth and floods / Hell and high water / To bring you my love."

Foto: Christian Fischer

Neun in schwarzen Anzügen über zumindest dunklen, wenn nicht vollschwarzen Hemden steckende Herren im Silberrückenalter begleiten sie dabei. Sie stammen in Gestalt von Bandleader Mick Harvey oder den Multiinstrumentalisten James Johnston und Terry Edwards aus alten Zuarbeitern für den wesensverwandten Nick Cave. Mit dem hatte ja wiederum Polly Jean Harvey einst ein sehr aufreibendes Techtelmechtel, das aber beiderseitig einige dieses Drama prächtig verarbeitende Songs hergab.

Auszug aus Ägypten

"Oh help me, Jesus / Get through the storm", heißt es im schon wieder nah am Wasser gebauten Kindesmord-Runterzieher Down By The Water. Gegen Ende dieses von Gänsehautmomenten veredelten Abends hört man im zwischen anglikanischem Kirchenlied und nicht ganz lebensmüder Ballade angesiedelten River Anacostia, das mit dem alten afroamerikanischen Spiritual Wade In the Water kombiniert wird: "A small red sun makes way for night – trails away like a tail light / Is that Jesus on the water / talking to the fallen trees? / What will become of us?"

Wade In the Water handelt übrigens vom Auszug der Israeliten aus Ägypten. Dieser wurde von Gott ja überhaupt erst durch die den Ägyptern zuvor gesandten zehn Plagen ermöglicht.

Wurden wir gerade, glücklich erschöpft auch durch die an das Land der Bibel gemahnende Raumtemperatur, Zeugen einer christlichen Überwältigungsshow? Wohl eher nicht. In PJ Harveys Liedern wird einfach zu viel gestorben. Das macht nicht immer Mut oder spendet Trost: "The West’s asleep. Let England shake / Weighted down with silent dead / I fear our blood won’t rise again."

So gut schlecht drauf haben wir uns lange nicht mehr gefühlt. (Christian Schachinger, 11.8.2017)