"Wir haben Hunger" und "Maduro Diktator" steht hier auf Graffitis in der venezolanischen Hauptstadt Caracas.

Foto: AFP Ronaldo Schemidt

Caracas/Wien – Dass es sich bei der jüngsten Rebellion auf dem Militärstützpunkt nahe der venezolanischen Stadt Valencia nicht um einen Putsch handelte, machten die vermeintlichen Putschisten selbst klar: "Das ist kein Putsch", hielten die Angreifer in einem Video fest, "sondern eine zivil-militärische Aktion, um die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen". Ihre Forderungen beinhalteten unter anderem die "sofortige Bildung einer Übergangsregierung und allgemeine freie Wahlen mit freien Institutionen".

Diese Präzisierung hervorzuheben ist wichtig. So schnell, wie die Aktion auch wieder vorbei war – sie zeigt, dass selbst bisherige Anhänger des Präsidenten diesem den Rücken kehren. Was die revoltierenden Soldaten verlangten, deckt sich mit dem, was vermehrt selbst aus den Reihen der Sozialisten zu hören ist: dass Nicolás Maduro gehen muss, weil er Venezuela in eine Diktatur verwandelt.

Das forderten die Soldaten in Valencia, die mit Bild Simón Bolívars, dem historischen Helden der Sozialisten, im Hintergrund aufgetreten waren, ebenso wie die inzwischen abgesetzte Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz. Ortega ist selbst Sozialistin, eine glühende noch dazu: Bei der Beerdigung von Maduros Vorgänger Hugo Chávez stand sie in der ersten Reihe. Dem Oppositionsführer Leopoldo López wurde mit ihrer Hilfe der Prozess gemacht. Nun droht der abgesägten Staatsanwältin selbst der Prozess. Ihre Konten wurden eingefroren, das Land darf sie nicht mehr verlassen.

Denn Ortega beharrt unbeirrt darauf, dass es die Regierung selbst sei, die einen Putsch vollziehe, nämlich einen gegen die Verfassung, wie sie sagt. Deshalb ruft sie auch dazu auf, "gegen diese totalitäre Form des Regierens" zu opponieren. Ortega gehört zu dem, was Ulrich Brand, Lateinamerika-Experte an der Universität Wien, als "dritten Pol" bezeichnet: Jene Kräfte, die einen Personalwechsel herbeisehnen, der das Land befrieden und die andauernde Verunsicherung beenden soll, die die Kriminalität ebenso betrifft wie die Lebensmittelversorgung.

"Diese Kräfte stammen aus den alten Basen des Chávismus", sagt Brand: "Sie erachten Maduro als inakzeptabel, wollen aber Chávez' Errungenschaften erhalten."

Maduros Vorgänger ist es gelungen, Millionen Venezolaner aus der Armut zu holen. Doch inzwischen schließen sich selbst diese den Protesten an. Das erdölreiche Land steht vor dem Ruin.

Zunehmende Radikalisierung

Gleichzeitig geht aus Enthüllungen der Panama Papers oder aus der Lava-Jato-Korruptionsaffäre in Brasilien hervor, dass Venezuelas Öleinnahmen nicht nur den Bedürftigen zukommen, sondern vor allem der Regierung und ihren Günstlingen. Je mehr aber die Unterstützung für Maduro schwindet, umso autoritärer geht er vor.

Ex-Staatsanwältin Ortega hatte die Regierung so lange verteidigt, bis diese das Parlament entmachtet und sich über die Verfassung hinweggesetzt hat. Die bisherige, von Chávez eingeführte Version sah zumindest auf dem Papier eine klare Gewaltenteilung vor. Spätestens aber, seitdem das Militär Abgeordneten den Zugang zu ihrem Arbeitsplatz versperrt, besteht kein Zweifel daran, dass Maduro mit der umstrittenen verfassungsgebenden Versammlung das Parlament ersetzt hat.

"Es braucht versöhnliche Kräfte. Deshalb ist es dramatisch, dass Ortega weg ist", sagt Politikwissenschafter Brand. Auch weil sich so die Hardliner, die Maduro um jeden Preis loswerden wollen, noch stärker durchsetzen dürften, warnt Brand: "Allen voran Paramilitärs, die ein viel größeres Problem darstellen als dilettantische Aufstände wie jene vom vergangenen Wochenende."

Venezuelas Opposition – dieses inhomogene Bündnis aus über 20 Parteien, die von ultrarechts bis gemäßigt links reichen – ficht derzeit ihren eigenen Kampf aus. Auch hier dominieren zunehmend radikale Kräfte: Das trifft auf ihre Anhänger zu, die immer gewalttätiger vorgehen. Und ebenso auch auf ihre politischen Vertreter, die selbst auf den Ölsektor schielen, dessen Kontrolle unglaubliche Macht verschafft.

Einen Dialog macht all das immer unwahrscheinlicher. "Die Dritte-Pol-Kräfte, die es unter Chávez-Anhängern ebenso gibt wie in der Opposition, werden derzeit erst gar nicht ermuntert, in diese Richtung zu gehen", sagt Brand. (Anna Giulia Fink, 9.8.2017)