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Am Berliner Bahnhof Südkreuz weisen Aufkleber auf dem Boden darauf hin, dass Reisende den Bereich für Gesichtserkennung betreten. Der Test soll sechs Monate dauern, die Daten werden dann gelöscht.

Foto: Reuters / Hannibal Hanschke

Jeden Tag, von Montag bis Freitag, verlässt Robin Kreißig seine Wohnung in Berlin, fährt zum Bahnhof Südkreuz und nimmt den Zug nach Leipzig. Abends kehrt er wieder zurück nach Berlin und benutzt wieder den Bahnhof Südkreuz. Er wird dabei beobachtet, aber es macht ihm nichts aus.

"An den ersten Tagen habe ich natürlich auf die Kameras geschaut. Aber man vergisst diese schnell und geht einfach seiner Wege – wie immer", sagt er. Der Student der Elektrotechnik ist einer von 300 Freiwilligen, die sich für einen sechsmonatigen Test bei der Bundespolizei gemeldet haben. Diese prüft gemeinsam mit dem Innenministerium, dem Bundeskriminalamt und der Deutschen Bahn in einem Pilotprojekt seit Anfang August sechs Monate lang eine Software zur Gesichtserkennung. Die Testpersonen werden täglich am Bahnhof, wenn sie in der Schalterhalle zur Rolltreppe gehen, um zu den Zügen zu gelangen, gescannt.

Abgleich mit Datenbank

Zuvor haben sie sich alle fotografieren und registrieren lassen, die Fotos kamen in eine Datenbank. Die Aufnahmen am Bahnhof werden mit diesen Fotos abgeglichen. Geht eine registrierte Person durch die markierte Zone, dann meldet die Software einen Treffer in der Datenbank.

"Durch den Einsatz intelligenter Gesichtserkennungssysteme können zukünftig wesentlich bessere Ergebnisse für die Sicherheit der Bürger erzielt werden", sagt Innenminister Thomas de Maizière (CDU). Seine Überlegung: Wenn es möglich ist, aus den Menschenmassen einzelne Personen "herauszupicken", dann könne man "Gefährder" oder Verdächtige schneller festnehmen.

Für die Zeit des Versuchs ist die Bahnhofshalle in zwei Zonen eingeteilt. Vor einem Bereich steht am Boden und über dem Eingang groß: "Pilotprojekt Gesichtserkennung – Erkennungsbereich". Das ist jener, den Kreißig und die anderen Tester durchschreiten müssen. Auf den anderen Bereich sind keine Kameras gerichtet. Der Hinweis lautet schlicht: "Pilotprojekt Gesichtserkennung – Keine Gesichtserkennung". Beim Lokalaugenschein sieht man: Niemand schert sich um die Warnung. Keiner stoppt vor der Erkennungszone und wechselt dann bewusst. Die Menschen hasten oder schlendern einfach durch die Halle.

Tiefgreifender Eingriff

Scharfe Kritik am Projekt kommt von der Berliner Datenschutzbeauftragten Maja Smoltczyk. Sie sieht einen "sehr, sehr tiefgreifenden Eingriff in Grundrechte, insbesondere in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung", also das verfassungsrechtlich verbriefte Recht, "sich unbeobachtet und anonym in der Öffentlichkeit zu bewegen". Zudem warnt Smoltczyk, dass man mit den Daten Bewegungsprofile erstellen könne. Auch der Vorsitzende des Deutschen Anwaltsvereins, Ulrich Schellenberg, kritisiert: "Wir bewegen uns auf einen Überwachungsstaat zu, der uns immer weniger Luft gibt. Es gibt keine grundgesetzliche Basis dafür, diese Methode flächendeckend einzuführen."

Robin Kreißig kann die Bedenken nachvollziehen. Er aber nimmt am Test teil, weil er sich für technische Neuerungen interessiert und findet: "Wenn Technik zu mehr Sicherheit beitragen kann, dann sollte man sie nutzen. Ich habe Vertrauen in den Staat, dass er sich an die Regeln hält." Er und seine Mittester bekommen übrigens eine Belohnung: einen Gutschein in Höhe von 25 Euro von Amazon. (Birgit Baumann aus Berlin, 10.8.2017)