Der Schweizer Fredy Bickel rauft sich ab und zu das Haar.

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Wien – Rapids Sportvorstand Fredy Bickel hat sich getäuscht. Vor rund einem Jahr, als Paul Pogba um aberwitzige 105 Millionen Euro von Juventus zu Manchester United transferiert wurde, dachte der 52-jährige Schweizer in seiner Naivität: "Das war es dann wohl, die Grenze ist erreicht." Die 222 Millionen für Neymar widerlegen ihn spektakulär, also sagt er zum Standard: "Es ist nur die wilde Fortsetzung eines aus den Fugen geratenen Systems." Um nicht noch einmal zu irren, legt sich Bickel fest. "Irgendwann wird auch diese Summe überboten, das ist beliebig erweiterbar."

Fußballromantiker – Bickel zählt sich zu dieser Spezies – sind selbstverständlich irritiert. "Aber man muss akzeptieren, dass der Fußball ein Geschäft, ein Abbild der Gesellschaft ist." Oder: "Die Großen werden größer, die Kleinen kleiner. Die Schere wird unaufhaltsam breiter."

Moral

Zusätzlich verstörend sei die Tatsache, "dass sich Neymar für Paris sogar rechnet, sie werden viele Dressen verkaufen. Auch Messi und Ronaldo sind kein Verlustgeschäft." Die Frage nach der Moral sei eine berechtigte, aber romantisch bis naiv. "Die Fans machen letztendlich alles mit." Er, Bickel, erlebe das in der vergleichsweise winzigen Welt von Rapid. "Sie schreiben E-Mails, fordern Verstärkungen. Dass der Kader zu groß ist, dass gespart werden muss, ist kein Thema." Zur Beruhigung: Rapid sucht nach einem Stürmer, die Transferzeit endet am 31. August.

Der Neymar-Deal hat freilich gravierende Auswirkungen auf die Kleinen. Die Preise auch für mittelmäßig begabte Kicker werden weiter steigen. In der Schweiz hat diese Entwicklung laut Bickel bereits eingesetzt. "Einer, der vor zwei Jahren 400.000 Euro gekostet hat, ist nun für 800.000 zu haben. In Österreich ist es noch nicht so arg, da verzögert sich alles ein wenig." Das Financial Fairplay der Uefa sei maximal ein vernünftiger Ansatz. "Schlimm war das Bosman-Urteil. Es kann nach Wegen gesucht werden, sich abzusichern, die Spieler nützen das aus." Rapid müsse sich damit abfinden, "ein Ausbildungsverein zu sein. Das gilt für jeden Klub in Österreich. Es ist die einzige Chance, die einzige vernünftige Form der Positionierung."

Patriotismus

Am Sonntag steigt das 322. Derby gegen die Austria, das dritte im Allianz-Stadion, die Vorgänger endeten jeweils 0:2. Aufgrund des Scheiterns der österreichischen Frauenauswahl im Halbfinale der EM wird die Partie wie ursprünglich geplant um 16.30 Uhr angepfiffen. Das Erreichen des Finales hätte eine Verschiebung auf 20.15 Uhr bewirkt, das wäre aufgrund der Hitze gar nicht so schlecht gewesen. Bickel hat die Erfolge der Frauen und die damit verbundene Euphorie im Lande mitbekommen. "Sport hat viel mit Patriotismus zu tun. Es entwickelte sich eine Eigendynamik." Von einer Nachhaltigkeit ist er nicht überzeugt. Dass Rapid keine Frauenmannschaft stellt, könne man natürlich kritisieren. "Es steht momentan nicht auf der Agenda. Der Verband müsste helfen. Wir haben keine Infrastruktur dafür. Zwei bis drei Nachwuchsteams streiten bei uns um einen Platz."

Doppelbelastung

Die Kampfmannschaft wird diesbezüglich logscherweise bevorzugt. Sie ist recht gut in die Meisterschaft gestartet. 2:2 gegen Mattersburg in Unterzahl, 4:1 in St. Pölten, es war eine Partie elf gegen elf. "Die Ansätze geben Zuversicht und Mut." Im Falle einer Niederlage gegen die Austria, wovon Bickel nicht ausgehen will und darf, "wäre nicht alles kaputt". Rapid ist bekanntlich nicht in Europa beschäftigt. "Man findet Argumente dafür, dass es gut ist, und dafür, dass es schlecht ist."

Die Austria darf doppelt belastet sein, in der Liga war das mit zwei Niederlagen ein Nachteil, in Europa mit dem Aufstieg gegen Limassol ins Playoff ein Vorteil. Bickel hat Respekt vor dem Stadtrivalen. "Für die Austria kommt das Derby zum perfekten Zeitpunkt, das macht sie gefährlich." Für Rapid gilt: "Gewinnen wir, wäre es ein geglückter Saisonstart." Ja fast ein romantischer. (Christian Hackl, 4.8.2017)