Nur noch fünf Prozent der Brasilianer glauben, dass ihr Präsident Michel Temer – im Bild ein Demonstrant mit einer Maske – gute Arbeit leistet. Für die Mehrheit ist er bloß korrupt.

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Brasília/Berlin – Tumult und chaotische Szenen im brasilianischen Parlament sind keine Seltenheit. Auch dieses Mal musste die Sitzung immer wieder wegen lautstarker Proteste unterbrochen werden. Zahlreiche Oppositionsabgeordnete hielten Schilder mit "Fora Temer" ("Weg mit Temer") hoch. Die linke PSOL kam mit Koffern voller Geld – eine Anspielung auf Videoaufnahmen, die einen Vertrauten von Präsident Michel Temer bei der Entgegennahme von Schmiergeld zeigen.

Erstmals wird in Brasilien gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt juristisch ermittelt. Das Abgeordnetenhaus musste entscheiden, ob der 76-Jährige wegen Korruption angeklagt wird. Am Ende konnte das konservative Staatsoberhaupt noch einmal den Kopf aus der Schlinge ziehen – doch zu einem hohen Preis. Zwei Drittel der Stimmen hätte die Opposition gebraucht, um Temer für 180 Tage zu suspendieren. Danach hätte ihm ein Amtsenthebungsverfahren gedroht, wie vor einem Jahr gegen Vorgängerin Dilma Rousseff.

Am Ende votierten 263 Parlamentarier gegen eine Suspendierung und 227 Abgeordnete dafür. Ein für die Mehrheitsverhältnisse knappes Ergebnis, denn der Unmut gegen den Präsidenten ist auch in den eigenen Reihen hoch. So unbeliebt wie Temer war noch kein Staatsoberhaupt vor ihm. Inzwischen bescheinigen ihm nur noch fünf Prozent der Bevölkerung eine gute Regierungsarbeit.

So wurden dann die Brasilianer auch Zeuge eines beispiellosen Geschacheres um Posten, millionenteure Gefälligkeitsprojekte und Wahlkampfgeschenke aus der Staatsschatulle. Nach Medienangaben kostete Temers Pyrrhussieg den Steuerzahler umgerechnet fünf Millionen Euro. Die Nichtregierungsorganisation Contas Abertas (Offene Konten) spricht sogar von 600 Millionen Euro, die auf Bitten einzelner Abgeordneter für Steuergeschenke an Unternehmen, Prestigeprojekte in den jeweiligen Wahlkreisen und Gesetzesänderungen im Sinne der Agrarlobby ausgegeben worden seien. Rund 100 Abgeordnete sollen bedacht worden sein.

"Nationale Schande"

Selbst während der Abstimmung verhandelten am Rande noch Agrar- und Infrastrukturminister mit 20 vermeintlich unentschlossenen Parlamentariern. "Die Regierung kommt mit einem Verhandlungstresen her, das ist ein Skandal", empörte sich der Abgeordnete Henrique Fontana von der Arbeiterpartei PT. Der Abgeordnete Ivan Valente von der PSOL appellierte an die Abgeordneten, diese "nationale Schande" des Stimmenkaufs nicht zuzulassen. "Alle, die gegen eine Suspendierung von Temer votiert haben, machen das nicht zum Wohl des Volkes, sondern nur zum Wohl ihres eigenen Bankkontos", twitterte er nach der Sitzung.

Auch wenn Strippenziehen und Hinterzimmerabsprachen schon immer Teil der brasilianischen Politik waren, übersteigt die Dimension alles bisher Dagewesene. Entsprechend hoch ist die Empörung in der Bevölkerung. Denn trotz Temers Versprechen steckt Brasilien noch immer tief in der Rezession, das Land leidet unter einer Rekordarbeitslosigkeit mit 14 Millionen Menschen. Mit einem Sparprogramm hat die Regierung die Staatsausgaben auf 20 Jahre eingefroren. Die harten sozialen Einschnitte treffen besonders die Ärmeren, die auf das ohnehin schon unterfinanzierte staatliche Bildungs- und Gesundheitssystem angewiesen sind. Programme wie der soziale Wohnungsbau wurden ganz gestrichen.

Die Vorwürfe gegen Rousseffs einstigen Stellvertreter wiegen schwer. Temer soll über Jahre Schmiergeld in Höhe von zehn Millionen Euro für seine Partei PMDB vom Fleischkonzern JBS angenommen haben. Anfang Juni leitete Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot Ermittlungen ein. Dabei stützt er sich auf Ton- und Videoaufzeichnungen, die einen Getreuen Temers bei der Entgegennahme der Banknoten zeigen.

Auch wenn Temer die Abstimmung im Abgeordnetenhaus gewinnen konnte, ist sein politisches Überleben nicht gesichert: Janot bereitet zwei weitere Verfahren vor – unter anderem wegen Bestechung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Ob sich dann noch einmal eine Mehrheit der Abgeordneten mit Geschenken überzeugen lässt, ist ungewiss. (Susann Kreutzmann, 3.8.2017)