Soziale Schieflage, andauernde Proteste: Die Einschnitte in Griechenland hängen auch mit Budgetstatistiken zusammen, die für den Sparbedarf von Relevanz sind.

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Andreas Georgiou drohen weitere Strafen.

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Athen/Wien – Die Verurteilung des früheren griechischen Chefstatistikers Andreas Georgiou zu zwei Jahren Haft auf Bewährung sorgt für neue Spannungen zwischen Athen und der Eurozone. Georgiou hatte 2010 ungeschminkte Zahlen auf den Tisch gelegt und das Defizit für das Jahr 2009 auf 15 Prozent des BIP nach oben revidiert.

Nach mehreren kritischen Stellungnahmen europäischer Statistiker und Wissenschaftler schaltete sich der Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, in den Schlagabtausch ein. Er beobachte die Entwicklung mit Sorge. Die Unabhängigkeit von Statistikbehörden müsse gewahrt, Menschen, die ihre Arbeit verrichten, müssten beschützt werden, erklärte das für die Währungsunion zuständige Kommissionsmitglied.

Davor hatte sich schon Austro-Statistik-Chef Konrad Pesendorfer via Twitter zu Wort gemeldet: Das Gefährlichste, das man in der EU machen könne, sei, EU-Regeln zu befolgen, meinte er. Andere Statistik-Experten bezeichneten den Prozess als "beängstigende Farce". Ihren Aussagen vor Gericht, mit denen sie die Vorgangsweise Georgious rechtfertigten, sei keinerlei Bedeutung beigemessen worden, berichtet die "Financial Times". Laut Diplomaten will die Eurogruppe das Thema auf die Agenda des nächsten Finanzministerrats im September setzen

Die Vorgangsweise der Justiz gegen Georgiou, der die Statistikbehörde von 2010 bis 2015 leitete, ist ein großes Politikum in Griechenland. Der frühere IWF-Mann war zwischen die Fronten geraten, weil seine Defizitzahlen politische wie wirtschaftliche Konsequenzen hatten und haben. Für die bis 2010 regierende konservative Nea Dimokratia war das korrigierte Minus ein Schlag ins Gesicht, legte es doch bisherige Verfehlungen und Schummeleien schonungslos offen.

Für die linke Pasok, damals frisch an der Macht, erhöhte die klaffende Budgetlücke den Einsparungsbedarf. Wie stark Georgiou unter politischen Beschuss kam, zeigen u. a. Aussagen von Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos, der dem früheren Statistiker vorwarf, die Interessen des Landes nicht verteidigt zu haben. Pavlopoulos ist nach alter griechischer Tradition der Ansicht, dass diverse ausgegliederte Aktivitäten nicht vom Budget erfasst werden müssen.

Jubel am Gericht

Entsprechend groß war der Jubel von Gegnern Georgious am Dienstag am Gericht, wie Personen vor Ort berichten: Nach sechsjährigem Verfahren wurde Georgiou zu zwei Jahren Haft auf Bewährung wegen Amtsmissbrauchs verurteilt. Noch am Montag waren Zeugen der Verteidigung gehört und eingeschüchtert worden. Statistikexperten aus anderen Euroländern wurden von einer Menschenmenge vor und im Gericht bedroht und mussten das Gebäude unter Polizeischutz durch die Hintertür verlassen, wie Augenzeugen dem STANDARD schildern.

Die "Financial Times" zitiert aus einer E-Mail von Zeugen: Die Atmosphäre sei "entsetzlich feindlich" gewesen. "Ich hätte nie gedacht, dass ,Verfahren' wie dieses in einem demokratischen EU-Land möglich sind." Namhafte griechische Rechtsprofessoren sprachen von "Politjustiz".

Politisch besetzter Verwaltungsrat

Dass die vom früheren Chef der Statistikbehörde Elstat und Ex-IWF-Mitarbeiter vorgelegten Zahlen nicht gestimmt hätten, dieser Vorwurf wurde im Verfahren entkräftet. Allerdings hätte Georgiou das Zahlenwerk dem Verwaltungsrat vorlegen müssen. "In der EU ist nicht vorgesehen, statistische Ergebnisse per Abstimmung festzulegen", meint der Verurteilte dazu. Er würde heute ohne zu zögern gleich handeln wie 2010.

Georgious Hinweis auf die Abstimmung im obersten Gremium erfolgt nicht zufällig. Im politisch besetzten Verwaltungsrat von Elstat gab es 2010 starken Druck, das Defizit mit vier Prozent klein zu halten und die Zahlen auszuschnapsen. Ein gewerkschaftsnahes Mitglied des Gremiums hatte das Verfahren maßgeblich vorangetrieben und auch gegen den früheren Elstat-Chef ausgesagt. Detail am Rande: Mittlerweile ist nachgewiesen, dass Georgious E-Mail-Account in seiner Amtszeit vom Verwaltungsrat gehackt wurde.

Nächstes Verfahren droht

Georgiou, der das Urteil bekämpfen will, droht noch weiteres Ungemach. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm in einem getrennten Verfahren auch "Verschwörung gegen den griechischen Staat" vor und hat einen Schaden von 171 Milliarden Euro geschätzt. Obwohl Georgiou in diesem Verfahren bereits zweimal freigesprochen worden war, hat die Anklagebehörde neuerlich berufen. (Andreas Schnauder, 3.8.2017)