Wien – Richterin Doris Reifenauer darf in die Tiefen oder Untiefen der organisierten Maturareisen eintauchen. Der Grund: Vor ihr sitzen unter dem Vorwurf der schweren Körperverletzung drei Angeklagte, zwischen 23 und 25 Jahre alt, die im Vorjahr als Sicherheitspersonal zwei Reifegeprüfte in der Türkei wüst verprügelt haben sollen.

Politisch war es damals eine heikle Zeit, wie X-Jam-Veranstalter Alexander Knechtsberger am 6. Juli 2016 in einer PR-Aussendung zitiert wird: "Die Sicherheit unserer Kunden steht für uns gerade nach den schrecklichen Terroranschlägen in Istanbul an erster Stelle ... Wir haben das Sicherheitskonzept in Absprache mit den Behörden im X-Jam-Areal noch einmal massiv verstärkt." Glaubt man der Staatsanwaltschaft, kam die Bedrohung für Fatih E. und Osman S. drei Tage später aber von innen.

Überraschender nächtlicher Besuch

Am ersten Verhandlungstag im Mai erzählten die beiden Teenager, bei denen leichte Verletzungen diagnostiziert wurden, als Zeugen sinngemäß folgende Geschichte: Es habe auf einer Tanzfläche Meinungsverschiedenheiten mit den Securitys gegeben, worauf sie sich freiwillig in ihr Zimmer zurückgezogen hätten. Später habe es an der Tür geklopft, was sie ignorierten. Danach habe jemand versucht, über den Balkon ins Zimmer zu gelangen, was aufgrund der geschlossenen Tür misslang.

Eine Viertelstunde wähnten sie sich in Sicherheit, plötzlich seien Cavit K., Ekincan S. und Celal S., drei Wiener X-Jam-Sicherheitsleute, im Raum gestanden. Laut Anklage habe E. mehrere Faustschläge abbekommen, S. sei sogar bis zur Ohnmacht gewürgt worden.

Notwehr bei eskaliertem Streit

Die Angeklagten leugnen und erzählten daher naturgemäß anderes. Die beiden Maturanten seien schon zuvor extrem unangenehm aufgefallen und vom Chefsecurity schließlich nachdrücklich zum Gehen aufgefordert worden. Laut Cavit K., dem Erstangeklagten, sei aber vereinbart worden, die Sache später nochmals in Ruhe zu besprechen. Er habe an die Zimmertür geklopft, die Kontrahenten hätten geöffnet, der Streit sei eskaliert, und auch er selbst sei verletzt worden.

Am zweiten Verhandlungstag hat die Richterin da allerdings eine Nachfrage: "Sie haben das letzte Mal gesagt, sie hätten das Angebot bekommen, den Konflikt zu besprechen. Der Zweitangeklagte hat allerdings gesagt, die Maturanten seien sehr aggressiv gewesen und hätten Dinge wie 'Hurensohn' und 'Wir sehen uns dann später' gesagt. Wie passt das zusammen?" Der Zweitangeklagte S. sei bei dem Gesprächsangebot gar nicht vor Ort gewesen, argumentiert der Angesprochene.

Maturant zertrümmerte Lampe

Eine Maturantin, die nur noch die letzten Züge der Auseinandersetzung mitbekommen hat, berichtet, dass einer ihrer Bildungskollegen in Gegenwart von sechs bis sieben Sicherheitskräften eine Lampe zertrümmert habe und beide sehr aufgebracht gewesen seien. Sie erinnert sich aber auch daran, dass einer nur noch Boxershorts trug, was eher gegen eine vereinbarte Aussprache spricht.

Interessant ist die Einvernahme des 31-jährigen Chefsecuritys. Schon Reifenauers erste Frage offenbart Erstaunliches. "Was gibt es bei Ihnen denn für ein Auswahlverfahren für das Sicherheitspersonal?", fragt die Richterin. "Entweder sie haben schon in Wien für uns gearbeitet (wie der Drittangeklagte, Anm.), oder wir setzen sie bei kleineren Veranstaltungen ein, um sie zwei, drei Tage zu beobachten."

Nur: "Es gab im Vorjahr kurzfristige Personalausfälle." Daher habe man Erst- und Zweitangeklagten über Empfehlung mitgenommen. "Ein Leumundszeugnis wurde nicht eingeholt?", wundert sich Reifenauer. "Nein." – "Das habe ich mir gedacht, nachdem ich mir die Strafregisterauskunft des Erstangeklagten angeschaut habe."

Mehrfach vorbestrafte Sicherheitskraft

K. hat nämlich bereits mehrere Vorstrafen, teils Gewalt-, teils Drogendelikte. Seine Lage verbessert er sich auch dadurch nicht, dass er vor Gericht recht bockig auftritt und Reifenauer immer wieder Vorhalte macht. Seine Bewährungshelferin bricht dennoch eine Lanze für ihn: "Seit einem Jahr ist es viel besser geworden: Er hat einen Job und die Therapie gemacht, jetzt kann man mit ihm arbeiten."

Der Chefsecurity verrät als Zeuge auch, dass es bei den Feierlichkeiten ein System mit gelben und roten Karten für die Kundschaft gebe. Die Aussagen, ob einer der Maturanten bereits zuvor verwarnt worden sei, gehen auseinander. Gewundert hat den Mitarbeiter auch, dass die Verletzten behaupteten, die Kontrahenten seien mit einer Schlüsselkarte ins Zimmer gekommen. Die gebe es nämlich nur von der Rezeption, werde eine angefordert, müsse ein Hotelmitarbeiter mitgehen. Nur bei Gefahr in Verzug sei er der Einzige, der eine bekommen könne, beteuert er.

Beruflich endete die Angelegenheit für die Angeklagten jedenfalls mit dem Heimflug. Wie sie strafrechtlich ausgeht, entscheidet sich Ende September: Wegen verhinderter Zeugen muss Reifenauer vertagen. (Michael Möseneder, 1.8.2017)