Mit der Verwaltungsreform soll die Mindestsicherung von den Ländern zum Bund wandern, schlägt Alois Stöger vor.

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Das österreichische Pensionssystem schütze gut vor Altersarmut, argumentiert Stöger.

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Wien – Die SPÖ setzt nun im anlaufenden Wahlkampf wieder einmal auf das Pensionsthema. Sozialminister Alois Stöger plädiert im STANDARD-Interview dafür, bei "hohen Sonderpensionen" im staatsnahen Bereich weitere Einschnitte vorzunehmen. Die Solidarbeiträge für diese Gruppe, die erst vor drei Jahren erhöht wurden, sollten zumindest verdoppelt werden, sagt Stöger. Bei den Mindestpensionen plädiert der Sozialminister umgekehrt für eine Erhöhung der Ansprüche, die jährlich mit 51 Millionen Euro zu Buche schlagen würden.

STANDARD: Man hat den Eindruck, die SPÖ hat noch nicht richtig Fuß gefasst im Wahlkampf. Die Forderung nach Abschaffung des Pflegeregresses hat ÖVP-Chef Sebastian Kurz abgeschossen, indem er dem gleich im Parlament zugestimmt hat. Womit will die SPÖ punkten?

Stöger: Ich bin froh, dass die Abschaffung des Pflegeregresses gelungen ist. Das zeigt, dass wir die treibende politische Kraft sind. Wir haben auch die Aktion 20.000 durchgesetzt. Im letzten Monat konnten damit in den Pilotregionen schon 530 Personen in Beschäftigung gebracht werden, darüber hinaus gibt es für 1.066 Stellen schon Zusagen. Wir zeigen also, dass wir nicht nur Überschriften produzieren, sondern dort hackeln, wo es die Leute brauchen.

STANDARD: Es heißt aber oft, dass einen die Leute nicht dafür wählen, was schon passiert ist, sondern für das, was versprochen wird. Was hat man hier anzubieten?

Stöger: Als Sozialminister ist es auch jetzt mein Ziel, Dinge umzusetzen. Wir wollen die Freiheit jedes Einzelnen erhöhen, indem wir den Menschen mehr Sicherheit geben. Die Sicherheit zum Beispiel, dass sie auch in Zukunft eine Pension haben, die vor Altersarmut schützt. Konkret wollen wir die Rechtssicherheit beim Pensionskonto stärken.

STANDARD: Inwiefern?

Stöger: Wer arbeitet, befüllt nach und nach sein Pensionskonto. Wir wollen gesetzlich sicherstellen, dass auf dieses Geld bis zum Pensionsantritt nicht mehr zugegriffen werden kann. Sie erinnern sich an den Finanzminister, der in diese Richtung Fantasien entwickelt hat. So etwas wird es mit der SPÖ nicht geben. Jeder muss sich sicher sein können, dass die eigene Pension garantiert ist. Wenn wir die Partner dafür finden, wäre ein Verfassungsgesetz die beste Lösung.

STANDARD: Sie wollen also jede Pensionsreform für die Zukunft verunmöglichen?

Stöger: Moment, das heißt es nicht. Es heißt nur: Was für mich als individuelle Person eingezahlt wurde, ist gesichert. Es bedeutet nicht, dass beispielsweise die Höhe des Pensionsversicherungsbeitrages nie mehr geändert werden könnte.

STANDARD: Eine der sieben Koalitionsbedingungen der SPÖ ist auch, dass man Pensionsprivilegien "einiger weniger" abschaffen will. Was darf man sich darunter vorstellen?

Stöger: Privilegien müssen konsequent weiter abgebaut werden. Bei hohen Sonderpensionen im öffentlichen Bereichen haben wir vor drei Jahren bereits einen ersten Schritt gesetzt. Für jene Pensionsteile, die über der Höchstbeitragsgrundlage von aktuell 4.980 Euro liegen, werden seither Pensionssicherungsbeiträge von bis zu 25 Prozent eingehoben. Da kann man sicher noch nachschärfen.

STANDARD: Und zwar wie?

Stöger: Diese Pensionssicherungsbeiträge für besonders hohe Pensionen wollen wir jedenfalls verdoppeln, also in der obersten Stufe auf zumindest 50 Prozent anheben. Denn derart hohe Pensionen haben mit Gerechtigkeit nichts zu tun. Gleichzeitig wollen wir aber auch die Mindestpensionen erhöhen. Wir haben 300.000 Pensionisten, die die Ausgleichszulage bekommen, zwei Drittel davon sind Frauen.

STANDARD: Die Ausgleichszulage für Menschen, die mehr als 30 Jahre gearbeitet haben, wurde mit Jahresbeginn gerade erst erhöht – von 889,84 Euro auf 1.000 Euro.

Stöger: Ja, aber das reicht nicht. Wir schlagen daher vor, dass für die 30 Jahre nicht nur Arbeitszeiten, sondern auch Kindererziehungszeiten angerechnet werden. Dadurch würde die Zahl der Personen, die Anspruch auf diese erhöhte Mindestpension haben, von 23.000 auf 40.000 steigen. Außerdem schlagen wir vor, die Ausgleichszulage für Paare, bei denen ein Partner die Voraussetzung von 30 Arbeitsjahren erfüllt, von 1.334 auf 1.500 Euro zu erhöhen. Davon würden weitere 19.500 Pensionisten, vor allem Frauen, profitieren.

STANDARD: Es ist nicht das erste Mal, dass die SPÖ im Wahlkampf auf zusätzliche Leistungen für Pensionisten, ihre treuesten Wähler, setzt. In allen Berichten von OECD, EU oder Weltbank wird aber etwas anderes gefordert: das Pensionsantrittsalter weiter anzuheben. In diese Richtung ist nichts geplant?

Stöger: Nein, da ist nichts geplant, das würde nur woanders Probleme schaffen. Unser umlageorientiertes Pensionssystem ist ein internationales Erfolgsmodell, darum beneiden uns sehr viele Länder. Wir sind da auf einem guten Weg. Das faktische Antrittsalter steigt, die Zuschüsse aus dem Steuertopf sind geringer geworden. Wir haben die Budgetplanung bis 2020 deutlich unterschritten.

STANDARD: Alle internationalen Experten sagen aber schon, dass unser System teuer ist und wir noch immer zu früh in Pension gehen. Das können Sie ja nicht bestreiten.

Stöger: Unser System ist nicht teuer, es ist funktional und beugt der Altersarmut vor. Die Armutsgefährdung in Österreich ist viel geringer als in anderen Ländern, eben weil wir unser Pensionssystem nicht kaputtgespart haben.

STANDARD: Die Finanzierung der Sozialversicherung sorgte zuletzt wieder einmal für Diskussionen. Sie haben eine Studie zu Reformvorschlägen in Auftrag gegeben, die zwar fertig ist, aber noch nicht veröffentlicht wurde, weil sie erst übersetzt werden muss. Das klingt nach Wahlkampftaktik.

Stöger: Das ist nicht richtig. Sie ist im Fertigwerden und wird im August veröffentlicht. Es wird auch entsprechende Informationen der Auftragnehmer geben. Die Ergebnisse werden jedenfalls spannend, die Studie ist umfassender ausgefallen als erwartet.

STANDARD: Über das Thema wird seit Jahrzehnten diskutiert: Braucht man wirklich noch 21 Sozialversicherungsträger?

Stöger: Ich will die Ergebnisse nicht vorwegnehmen. Wenn man eine umfassende Studie über die Qualität der Sozialversicherung auf die Frage reduziert, ob man 26, zwölf oder 17 Sozialversicherungen braucht, dann verstellt man sich den Blick. Vielmehr muss man sich anschauen: Wo gibt es Stärken in unserem System? Wie kann man das Leistungsniveau aufrechterhalten? Wie haben sich die Beschäftigungsverhältnisse der Versicherten geändert? Wo kann man die Effizienz verbessern? Das sind die entscheidenden Punkte. Aber wenn Sie mich fragen, ob sich an den Strukturen etwas ändern wird, dann sage ich: Ich gehe davon aus, aber die haben sich auch bisher schon geändert.

STANDARD: Zuletzt haben auch die Zusatzpensionen früherer Mitarbeiter der Sozialversicherungen wieder für Aufregung gesorgt. Ich gehe davon aus, dass auch diese Gruppe von Ihren Plänen, hohe Sonderpensionen zu kürzen, betroffen wären?

Stöger: Natürlich, davon sind alle Sonderpensionen erfasst. Da kann es schon den einen oder anderen früheren Direktor erwischen. Aber für die heutigen Mitarbeiter der Sozialversicherungsträger gelten diese Privilegien ohnehin längst nicht mehr.

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STANDARD: Ihr Parteichef Christian Kern hat sich für eine große Verwaltungsreform ausgesprochen. Sollte dabei die Mindestsicherung von einer Landes- zur Bundeskompetenz werden?

Stöger: Das hielte ich für sinnvoll. Ich bin ein großer Anhänger davon, dass die Gesetzgebung in ganz Österreich gleich sein soll. Aber Sie erinnern sich: In der Vergangenheit haben die ÖVP-geführten Länder einheitliche Regelungen torpediert. Es würde mich wundern, wenn sie von dieser Linie abrücken.

STANDARD: Welch absurde Blüten der Kompetenzdschungel treibt, hat zuletzt ein Rechnungshofbericht zur Wiener Mindestsicherung gezeigt. Es gibt Fälle, bei denen das AMS die Leistung wegen Arbeitsverweigerung kürzt, das Land aber den Ausfall über die Mindestsicherung kompensiert.

Stöger: So etwas darf nicht sein. Das wäre auch Ziel einer einheitlichen Regelung gewesen, die leider nicht zustande kam.

STANDARD: Die Sozialpartner haben sich darauf geeinigt, dass bis 2019 in allen Branchen der Mindestlohn bei 1.500 Euro brutto liegen soll. Ist für Sie damit ein gesetzlicher Mindestlohn endgültig vom Tisch?

Stöger: Allein die Tatsache, dass Bundeskanzler Christian Kern die 1.500 Euro in seinen "Plan A" aufgenommen hat, hat dazu geführt, dass dieser Wert heuer von vielen Branchen bei den Kollektivvertragsverhandlungen übernommen wurde. Das ist der richtige Weg. Der nächste Schritt wird sein, dass wir gesetzliche Maßnahmen setzen, damit das Prinzip 1.500 Euro auch auf jene Branchen ausgedehnt wird, in denen es keinen Kollektivvertrag gibt. Da wird es Vorschläge von uns geben. Das ist aber ein so sensibles Thema, hier sollte es keine Schnellschüsse geben.

STANDARD: Sebastian Kurz ist für eine klarere Trennung zwischen Regierung und Sozialpartnern. Was sagt der frühere Gewerkschaftsfunktionär Stöger dazu?

Stöger: Wenn es gelingt, die Sozialpartner in wichtigen Fragen einzubinden, dann tut das einer Demokratie gut. Wichtig ist, dass jeder seine Rolle kennt: die Regierung, der Nationalrat, die Sozialpartner. Österreich hat aber mit der Sozialpartnerschaft ein Erfolgsmodell entwickelt. Präsident Leitl steht dahinter, auch Vizekanzler Mitterlehner wusste das. Der neue ÖVP-Chef will dieses Erfolgsmodell offenbar nicht mehr. Warum, muss er erklären. (Günther Oswald, 31.7.2017)