Tischlein, deck dich: Wenn der Veteran Powileit (Bruno Ganz) Geburtstag feiert, stellt sich ein, was in der DDR noch Rang und Namen hat. Das Märchen vom Arbeiter-und-Bauern-Staat ist aber schon ausgeträumt.

Foto: Filmladen

Wien – Es ist die Inszenierung eines feierlichen Abschieds, auch wenn es jene eines Geburtstags sein soll. Wilhelm Powileit, ein verdienter DDR-Funktionär, hält an einem Herbsttag 1989 Hof in seinem Haus in Ostberlin. Neunzig Jahre alt ist er geworden, und alle haben sie sich angemeldet: die Politbürokraten, die Militärs, die Stasi und die Bonzen – und alle bringen sie Blumen, die Powileit, ein Grantler vor dem Herrn, von seiner Haushälterin als "Gemüse auf den Friedhof" bringen lässt.

Der Friedhof ist die schwere Anrichte im Vorzimmer seiner Villa am Stadtrand, auf der die ausgeborgten und deshalb fein säuberlich etikettierten Vasen stehen. Alles hat also seine Ordnung in diesem Haus, in diesem Teil Berlins und in diesem Land. Noch. Denn die Fassade bröckelt – und die Mauer fällt.

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Alter Fanatiker

In Zeiten des abnehmenden Lichts basiert auf dem 2011 erschienenen, mit dem Deutschen Buchpreis prämierten Roman des Bühnenautors und Tschechow-Übersetzers Eugen Ruge. Geboren in der Sowjetunion, wuchs Ruge in den 1950er-Jahren in Ostberlin auf, arbeitete als Mathematiker und Physiker im Arbeiter-und-Bauern-Staat. Sein autobiografischer Montageroman spiegelt diese Erfahrungen anhand dreier Generationen wider: Sechs verschiedene Charaktere schildern den Alltag in der DDR. Ein Chor, der seine Wirkung aus der Kraft der einzelnen Stimmen erzielt. Man könnte auch sagen: ein Abgesang.

Nun hat der 86-jährige Wolfgang Kohlhaase, einer der renommiertesten Drehbuchautoren Deutschlands, Ruges literarische Verästelungen zu einem Kammerspielfilm umgeschrieben. Das Geschehen findet fast ausschließlich in Powileits Villa statt, in der alle Beteiligten und alles Unglück zusammenkommen, ausgerechnet an jenem Tag, an dem sich der Enkelsohn in den Westen abgesetzt hat. Was der überzeugte Systemverteidiger und alte Fanatiker natürlich nicht erfahren darf.

Tragikomischer Godot-Effekt

Regisseur Matti Geschonneck macht den Druck, der immer schwerer auf den Figuren lastet, anhand von Konflikten sichtbar, die sich von Stunde zu Stunde verschärfen: Je mehr sich das Haus im Laufe des Nachmittags füllt, desto größer wird die Anspannung. Das vergebliche Warten auf den Enkel, der traditionell für das Aufstellen des alten Familientischs – perfiderweise ein schweres Erbstück aus der Nazizeit – zuständig ist, gerät darüber zum tragikomischen Godot-Effekt.

Mindestens so schwer wie die politische Gegenwart auf Gastgeber und Besuchern lastet auf diesem Film jedoch seine Symbolik. Der schon als Führer mit Untergängen erprobte Bruno Ganz treibt etwa mit wuchtigen Hammerschlägen Nägel ins Holz, auf dass der Tisch endlich stehe – der schließlich doch unter dem Gewicht eines Kindes zusammenbricht. Die jüngste Generation will auf die Leckereien eben nicht mehr warten. Was bleibt, ist ein Scherbengericht – aber eines, bei dem die unliebsamen Bürger nicht aus der Stadt vertrieben werden, sondern lieber gleich den Staat verlassen.

Kleines Kakteenreich

In solchen Szenen zeigt sich auch die Schwäche dieses Films: seine Konstruiertheit, die mit der symbolträchtigen Verknüpfung des Familienschicksals mit jenem des Staates beginnt und zu einer (notwendig) eindimensionalen Figurenzeichnung führt. Jeder erfüllt hier bloß seine Funktion, auch Powileits Frau (großartig: Hildegard Schmahl), die sich im Wintergarten ihr kleines Kakteenreich errichtet hat, das sie an die guten Tage in Mexiko erinnert.

Dass die deutsche Kritik diesen Film mit an Bewunderung grenzendem Lob huldigt, liegt sozusagen in der Natur der Geschichte und seiner Liebe zum Detail: Tatsächlich bemüht sich Geschonneck mit großer Sorgfalt um Ausstattung, entlarven die Dialoge die hohlen Worte und gekünstelten Gesten. Ein Bild der DDR, zwar keines wie sie wirklich, aber eines, wie sie auch war. (Michael Pekler, 30.7.2017)