Bild nicht mehr verfügbar.

Februar 2016, Flüchtlinge im Transit im kroatischen Slavonski Brod: Grenzübertritte und Weiterfahrt waren staatlich organisiert.

foto: Reuters/Lupi

Wien – Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), laut dem auch im Fall von Massenflucht wie 2015/2016 über den Balkan die Dublin-III-Verordnung anzuwenden ist, wird zu weit weniger Rückschiebungen von Asylwerbern führen, als laut den ersten politischen Reaktionen angenommen worden war. In Kroatien hatte es am Mittwoch etwa geheißen, man erwarte nun die Rückübernahme von mehreren hundert Flüchtlingen aus Österreich.

Insgesamt dürfte es bundesweit aber nur knapp hundert gerichtsanhängige Fälle geben, in denen die Dublin-Verfahrensfristen nach dem Urteil wieder zu Laufen beginnen und somit eine Rückschiebung möglich ist – überwiegend nach Kroatien. Beim Bundesverwaltungsgericht, das über Beschwerden gegen Entscheidungen der Asylbehörden richtet, geht man "von einer zweistelligen Zahl" von Fällen aus.

Beim Verwaltungsgerichtshof, wo Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bekämpft werden können, heißt es, dass rund 15 Causen betroffen sind.

Dublin-Verfahren waren unterbrochen

Der österreichische Verwaltungsgerichtshof und der Oberste Gerichtshof der Republik Slowenien waren es gewesen, die den EuGH als EU-Höchstgericht um Klärung von Fragen rund um die Einreise von Flüchtlingen in die EU während des Durchwinkens ersucht hatten. Bis zur Urteilsfindung waren die Verfahren unterbrochen worden. Nun müssen sie wieder aufgenommen werden, denn EuGH-Urteile gehen direkt in den Rechtsbestand ein.

Konkret hatten das österreichische und das slowenische Höchstgericht wissen wollen, ob die Einreise der Flüchtlinge in die EU – also der in organisierten Bussen erfolgte Transport über die serbisch-kroatische Grenze vor eineinhalb Jahren – als legal oder illegal zu bezeichnen war; laut den nun in voller Länge vorliegendem EuGH-Urteil war er illegal.

Schengener Grenzkodex

Die Frage stand in Zusammenhang mit der Anwendung des Schengener Grenzkodex: Wäre die Einreise als Visumserteilung aus humanitären Gründen gewertet worden, wären jene Staaten für die Verfahren zuständig, in denen die Kläger – zwei Afghaninnen und ein Syrer – ihre Anträge stellten: Österreich und Slowenien.

Den Flüchtlingen sei kein Visumsäquivalent ausgestellt worden, urteilten die europäischen Höchstrichter. Die Dublin-III-Regeln, laut denen der Ersteinreisestaat in die EU das Asylverfahren zu führen hat, seien damit auch bei einer Massenflucht anzuwenden. Begründet wird dies in dem Urteil mehrfach mit der "allgemeinen Systematik" und den "Zielen" der Dublin-III-Verordnung. Damit wäre eine andere Rechtsansicht "unvereinbar" gewesen.

Afghanische Familie

Neben den in höheren Instanzen anhängigen Asylfällen sind in Österreich nun aber auch wieder Flüchtlinge akut von Rückschiebung bedroht, die immer noch auf eine erstinstanzliche Dublin-Entscheidung warten, obwohl sie bereits mit der großen Fluchtbewegung vor eineinhalb Jahren in die EU eingereist sind. Da Dublin-Verfahren überwiegend in acht Monaten abgeschlossen sind, sind dies Fälle, in denen der Fristenlauf aus praktischen Gründen unterbrochen wurde.

So etwa im Fall der afghanischen Familie S. (Name der Redaktion bekannt). Mann und Frau stellten im Dezember 2015 in Innsbruck einen Asylantrag, Doch anders als ihre Mitreisenden wurden sie nicht ins Verfahren aufgenommen, sondern sollten laut Dublin-Verordnung nach Kroatien zurück. In Panik flüchteten sie – mit einem in Österreich geborenen Sohn – nach Deutschland weiter. Doch auch die dortigen Behörden wiesen sie nach Kroatien aus. Also kehrten sie nach Österreich zurück – um auch hier wieder im Dublin-Verfahren zu landen. Laut einem Flüchtlingsbetreuer sind sie all dem Hin und Her psychisch inzwischen sehr belastet. (Irene Brickner, 27.7.2017)