Solidaritätsbekundungen für die Journalisten von "Cumhuriyet" vor dem Justizpalast in Istanbul. Die Anhörungen sollen am Freitag enden.

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Ankara/Athen – Die einen sind Spitzel, die anderen nützliche Investoren, und beide kommen aus Deutschland, dem wichtigsten Handelspartner der Türkei. Regierungschef Binali Yıldırım lud am Donnerstag deutsche Unternehmer in seinen Amtssitz. Es sei wichtig für die Türkei, dass die deutschen Wirtschaftsvertreter nicht von den politischen Spannungen betroffen würden, sagte Yıldırım.

Am Vortag hatte Staats- und Parteichef Tayyip Erdoğan in einer Rede vor seiner Parlamentsfraktion nun auch der deutschen Regierung Spionage in der Türkei vorgeworfen. "Deine Agenten kommen und tummeln sich hier in Hotels und zerteilen mein Land", erklärte Erdoğan. Zuvor hatte Erdoğan verhaftete deutsche Staatsbürger vorverurteilend als "Terroristen" und "Spione" bezeichnet, ohne die deutsche Regierung selbst zu bezichtigen.

Berlin droht mit Wirtschaftsmacht

Berlin und Stockholm übermittelten nach Erdoğans Rede eine gemeinsame Protestnote. Unter den Anfang Juli verhafteten Menschenrechtlern war neben einem deutschen auch ein schwedischer Staatsbürger. Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel hatte bei seiner in der Vorwoche angekündigten Neuausrichtung der deutschen Türkei-Politik bewusst die deutschen Investitionen angesprochen und als Druckmittel benutzt.

Am Donnerstag wurde bekannt, dass Enercon, einer der größten deutschen Hersteller von Windkraftanlagen, zusammen mit zwei türkischen Unternehmen ein Angebot für eine Milliardenausschreibung des Energieministeriums in Ankara unterbreitet hat.

Das konfrontativ verlaufene Treffen des türkischen Außenministers und Europaministers mit der EU-Außenpolitikbeauftragten Federica Mogherini und EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn am Dienstag beschäftigt weiter einige türkische Medien. Bis zur Wahl in Deutschland und Österreich werde es in der EU keine Entscheidungen über das künftige Verhältnis zur Türkei geben, schrieb das Massenblatt "Hürriyet" am Donnerstag. Eine Suspendierung der insgesamt 4,5 Milliarden Euro "Beitrittshilfe" der EU an die Türkei bis 2020 steht gleichwohl im Raum. Die Hilfsprogramme stehen aufgrund der politischen Spannungen mit der EU bereits weitgehend still.

Kolumnisten verteidigen sich

Bei dem für die Abrufung der Beitrittshilfe zuständigen Amt, das dem türkischen Premier zugeordnet ist, sind derzeit nur zwei Projekte zur Bewerbung offen: Bei beiden geht es um die Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen in der Türkei; das eine ist mit 1,75 Millionen Euro, das andere mit 2,5 Millionen Euro dotiert. Künftige Projekte sind nicht mehr ausgeschrieben.

In Istanbul ging der Prozess gegen führende Mitarbeiter der regierungskritischen Tageszeitung "Cumhuriyet" wegen Unterstützung von Terrororganisationen weiter. Am vierten Tag verteidigten sich die Kolumnisten Hikmet Çetinkaya (75), Aydın Engin (76) und Orhan Erinç (81).

Der Leiter der staatlichen Religionsbehörde, Mehmet Görmez, kündigte seinen Rücktritt an. Er war 2010 dem liberalen Diyanet-Chef Ali Bardakoğlu nachgefolgt. Tausende von Beamten wurden als "Gülenisten" entlassen. (Markus Bernath, 27.7.2017)