Die "Iron Lady" in ihrem Element.

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August 2012: Katinka Hosszú ist am Boden. Die Olympischen Spiele von London sind vorbei, ihr Traum von einer Medaille unerfüllt. Die damals 23-Jährige vergräbt sich wochenlang zu Hause. "Ich war praktisch depressiv, ich wusste nicht, ob ich weiter schwimmen wollte."

Juli 2017: Katinka Hosszú betritt die Duna Arena von Budapest, die Zuseher schlagen für ihre Nationalheldin unvergleichlichen Radau. Auf ungarischen Flaggen steht "Iron Lady", Kinder tragen ihr Merchandise. Hosszú schlägt über 200 m Lagen nach exakt 2:07 Minuten an. Es ist ihr 18. Weltmeistertitel.

September 2012: Tabula rasa; die Allrounderin engagierte ihren Freund Shane Tusup als Coach und durchschwamm fortan jedes Becken, das nicht bei drei leer war, litt in der Kraftkammer, brach Bestleistung um Bestleistung. Sie wurde ganz bewusst zur Maschine. Die gravierendste Änderung: Hosszú betrachtete als erste Schwimmerin Wettkämpfe als Trainingsgelegenheit. So schraubte sie ihr Wettkampfpensum in unerreichte Höhen. Im lukrativen Schwimmweltcup, einer über Herbst und Winter laufenden Kurzbahn-Tour, nannte sie für unzählige Rennen und gewann teilweise im Stundentakt. Dabei vermarktete sie sich als "Iron Lady" – ihre Produkte, von Schwimmausrüstung bis Plüschfiguren, sind in Ungarn allgegenwärtig.

Schwer zu biegen

Der Markenname ist Programm, Hosszú ist schwer zu biegen. Anfang 2016 bot ihr der ungarische Schwimmverband eine Förderung über umgerechnet 41.000 Euro. Als Gegenleistung hätte die Nationalheldin die WM bewerben müssen. Die kritische Athletin sah einen Versuch, sie "ruhigzustellen", und zerriss den Vertrag vor laufenden TV-Kameras – ein Affront in einem Land, dessen Sportler sich fast nie gegen Autoritäten auflehnen.

Hosszú bereitete sich im Alleingang auf Olympia vor und kassierte in Rio dreimal Gold. Der Konflikt schwelte weiter, im November zwangen Ungarns Schwimmstars den mächtigen Verbandspräsidenten Tamás Gyárfás zum Rücktritt.

Hosszú sagt, es gehe ihr um die Trainingsbedingungen ihrer Kollegen – und das ist durchaus glaubwürdig. Die Dominatorin hat sowohl die finanziellen Mittel als auch den Status, um ihre persönlichen Umstände zu diktieren. Im ungarischen Pool ist sie der Weiße Hai.

Lex Hosszú

Im globalen Pool hat Hosszú stärkeren Widerstand. Ende Mai änderte der Schwimmweltverband Fina die Regeln für den Weltcup: Fortan darf jeder Athlet nur an vier Bewerben teilnehmen – eine Lex Hosszú. Die 400-m-Lagen-Weltrekordlerin attackierte daraufhin die Fina in einem offenen Brief und gründete wenig später die globale Schwimmergewerkschaft GAPS. Unter den 30 Mitgliedern sind 15 Olympiasieger. Sie forderten einen "Platz am Tisch" der Fina und bekamen diesen prompt. Beim Fina-Kongress wurde den Athleten je ein Sitz in der Exekutive und im technischen Komitee zugesichert.

Ob das reicht? Hosszús eigentliches Anliegen wurde nicht angetastet. Sie ist gnadenlos kompromisslos und kompromisslos gnadenlos, wird weiter Druck machen. Nun muss sie sich aber noch einige Tage auf das Schwimmen konzentrieren, die Heim-WM ist ihre Show. "Danke für diese Erfahrung, es war unvergesslich. Ich weine fast", sagte die frischgebackene Weltmeisterin nach ihrem ersten Sieg. Alles eitel Wonne. Aber auch auf den Tribünen der Duna Arena wird geflüstert: Hosszús Leistungen scheinen angesichts ihres Pensums fast übermenschlich. Der Autor einer Schwimmwebsite zog Parallelen zu Ex-Radstar Lance Armstrong, Hosszú klagte. "Hard work pays off", sagt die ungarische Gebetsmühle wieder und wieder. Und verkauft diesen Spruch gleich in Häferlform. (Martin Schauhuber, 27.7.2017)