Brüssel/Wien – EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos hat am Mittwoch die zweite Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens wegen bisher nicht erfolgter Flüchtlingsverteilung durch Ungarn, Polen und Tschechien gestartet. Die im September auslaufende Regelung zur Umverteilung von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland bleibe weiterhin bestehen. Avramopoulos lobte die bisherigen Erfolge.

So meinte er, es sei gelungen, 24.600 Personen aus Griechenland und Italien umzusiedeln. Das Ziel lag allerdings bei rund 100.000. Der Kommissar ging auf diese Zahl nicht ein, meinte aber trotz der angekündigten Verlängerung, es sei möglich, bis Ende September das Ziel zu erreichen. Jedenfalls sei der Juni ein bisheriger Rekordmonat gewesen, "fast 3.000 Umsiedlungen" habe es gegeben. "Unser Ziel ist es, weiterhin dafür zu sorgen, dass die Menschen, die infrage kommen, bis Ende September 2017 umgesiedelt werden", so Avramopoulos unbeirrt.

Darüber hinaus wolle er für jede neuangesiedelte Person aus Nordafrika 10.000 Euro mobilisieren. Es sei "äußerst wichtig, die Lage im zentralen Mittelmeer zu verwalten. Damit ersetzen wir die gefährlichen illegalen Überfahrten durch sichere und rechtmäßige Wege".

Lob und Kritik

Was die einzelnen EU-Staaten betrifft, arbeitete der Kommissar mit Zuckerbrot und Peitsche. Die meisten Staaten würden "wirklich im europäischen Geist arbeiten". Dabei nannte er Spanien und Deutschland, die ihre Umsiedlungspläne beschleunigen und anheben wollten. Bei Finnland, Litauen, Luxemburg, Malta oder Lettland hätte die Zuweisung begonnen oder werde bald erfolgen. Großes Lob gab es für Schweden, das trotz der bereits hohen Anzahl an Asylbewerbern der letzten Jahre in der Lage sein werde, in den kommenden eineinhalb Monaten 60 Prozent der Zuweisungen zu gewährleisten.

Unabhängig davon "bedauert" es Avramopoulos, dass "andere EU-Staaten weiterhin keine Solidarität an den Tag legen". Da die wiederholten Appelle der Kommission ignoriert wurden, habe Brüssel heute die zweite Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens an Tschechien, Ungarn und Polen geschickt. Der Kommissar begrüßte in diesem Zusammenhang auch die am heutigen Mittwoch veröffentlichte Stellungnahme des EuGH-Generalanwalts zu Ungarn und der Slowakei. Wenn die Kommission Erfolg habe, die bisher nicht willigen Länder zu überzeugen, "dann haben wir keine Probleme".

Lob für Österreich

Lob gab es von Avramopoulos sogar für Österreich. Unter Hinweis auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg (EuGH) zur Dublin-Verordnung sagte er, es sei zu begrüßen, wenn Österreich, Deutschland oder Schweden in vielen Fällen Asylanträge geprüft und die Personen nicht in die Erstländer zurückgeschickt hätten. Dabei konzedierte er, dass das Dublin-System "doch in der jetzigen Fassung beträchtliche Mängel hat". Es sei nicht für die außerordentlichen Umstände in der Flüchtlingskrise gedacht gewesen.

Für Ungarn und die Slowakei zeichnet sich vor dem EuGH in Sachen EU-Flüchtlingsquoten eine juristische Niederlage ab. Generalanwalt Yves Bot empfahl am Mittwoch, die Klagen der beiden Länder gegen die Umverteilung von Migranten abzulehnen. Ein Urteil dazu könnte ab September fallen. Bot empfahl, die Klagen abzuweisen, weil das Abkommen "wirksam und in verhältnismäßiger Weise" dazu beitrage, dass Griechenland und Italien die Folgen der Flüchtlingskrise von 2015 bewältigen können.

Die Regierungen in Budapest und Bratislava haben gegen den Beschluss vom September 2015 geklagt. Sie waren damals ebenso wie Tschechien und Rumänien im Kreis der EU-Staaten überstimmt worden.

Slowakei wartet ab, Tschechien weiter dagegen

Die Slowakei will das Urteil des EuGH abwarten. Vorerst würden keine Konsequenzen gezogen, teilte das Justizministerium in Bratislava mit. "Die Empfehlungen des Generalanwalts sind vorerst nicht zugänglich und wurden uns nicht übermittelt", schrieb das Ministerium. "Zu Details können wir uns daher nicht äußern. ... Wir wollen deshalb auf die endgültige Entscheidung warten, für die noch kein Termin bekannt ist."

Tschechien will im Streit um die Übernahme von Flüchtlingen von anderen EU-Staaten nicht einlenken. "Tschechien hat wiederholt darauf hingewiesen, dass das gesamte System der Quoten nicht funktioniert", sagte der sozialdemokratische Regierungschef Bohuslav Sobotka am Mittwoch. Die Umsiedlung werde unter anderem deshalb scheitern, weil die Migranten wegen der "Vision eines besseren Lebens" in wirtschaftlich stärkere EU-Mitgliedsstaaten weiterziehen würden.

Ungarn attackiert EU-Generalanwalt

Ungarn hat mit einem trotzigen Gegenangriff reagiert. "Der EuGH-Generalanwalt Yves Bot scheint sich, wie schon vor ihm die EU-Kommission und der Europäische Rat, dem Soros-Plan angeschlossen zu haben", erklärte der Staatssekretär im Justizministerium, Pal Völner, am Mittwoch in Budapest. Nach Auffassung des rechts-konservativen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban und der von ihm kontrollierten Medien beabsichtigt der US-Milliardär George Soros angeblich, Flüchtlingsmassen nach Europa zu lenken. Dies geschehe durch "Unterwanderung" der europäischen Gremien und von Soros finanzierte Zivilorganisationen. Ziel dieses "Plans" sei es letztlich, die "christliche und nationale Identität" der Völker Europas zu zerstören.

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat den Schlussantrag des EuGH zur Flüchtlingsaufnahme von Ungarn und der Slowakei hingegen gelobt. Es handle sich um ein "starkes Zeichen für die Einhaltung der europäischen Solidarität" und um einen wichtigen Schritt zur Lösung der Migrationskrise".

Es könne nicht sein, dass einige wenige Staaten wie Österreich, Italien, Deutschland und Schweden die alleinige Last der Migrationskrise zu tragen haben, und andere die europäischen Spielregeln nicht einhalten", sagte Kern. (APA, 26.7.2017)