Deutschland immer schriller als Ort einer angeblichen Verschwörung verunglimpfen, sich gleichzeitig in Brüssel bei Gesprächen über vertiefte Handelsbeziehungen und EU-Beitrittsverhandlungen kooperativ zeigen: Das scheint im Moment die Taktik der Führung in Ankara zu sein.

Staatspräsident Tayyip Erdoğan setzte seine Angriffe gegen die Regierung in Berlin am Dienstag fort. Diese hatte seit Tagen den Druck zur Freilassung mehrerer verhafteter Menschenrechtsaktivisten und Journalisten – darunter deutsche Staatsbürger – erhöht. Erdoğan warf Deutschland "Spionage" in Person des inhaftierten Peter Steudtner vor, den er einen "Agenten" nannte. Wer glaube, sein Land mit Embargomaßnahmen einschüchtern zu können, müsse sich auf "viel härtere Konsequenzen" einstellen.

Eine ganz andere Seite der türkischen Diplomatie zeigten der Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu und der Europaminister Ömer Çelik am gleichen Tag bei einem Besuch in Brüssel. Die beiden trafen mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini und Erweiterungskommissar Johannes Hahn zum ersten "hochrangigen Dialog" seit einem Jahr zusammen. Die Themen dabei, neben aktuellen Krisen in Syrien, Libyen und Katar: der Ausbau der Zollunion, Visafreiheit, eine Zypern-Lösung und die EU-Beitrittsgespräche.

Das Gespräch verlief nach Informationen des STANDARD überraschend "sachlich und konstruktiv". Die Kommission drängte darauf, dass es ohne Verbesserung bei den Menschenrechten und die Freilassung von Journalisten, Anwälten und Aktivisten keinen Spielraum gebe. Çavuşoğlu zeigte sich dazu schwerhörig. Er soll sich aber bereiterklärt haben, im Rahmen weiterer Treffen noch dieses Jahr auf die Forderungen einzugehen. Es soll ein weiteres hochrangiges Aufeinandertreffen im türkischen Adana geben. Vor einem weiteren Verhandlungsfortschritt fordert die EU-Komission jedoch "konkrete Schritte" zum Schutz der Menschenrechte und Menschenrechtsaktivisten in der Türkei.

Neue Zollunion als Hebel

Die Türen sollen offenbleiben, erklärten Çavuşoğlu und Mogherini übereinstimmend, der Dialog werde weitergehen. Die Kommission schloss aus, ihre EU-Vorbeitrittshilfen im Umfang von 4,4 Milliarden Euro bis 2020 zu kürzen. Das sei rechtlich nicht möglich, bevor die EU-Staaten die Beitrittsverhandlungen formell suspendieren oder beenden, so Hahn. Danach sieht es derzeit nicht aus. Die Beitrittsgespräche bleiben "auf Eis", Gespräche über den Ausbau der Zollunion, die seit 1996 besteht, sollen Fortschritte bringen. Bereits im September gibt es Energie-Verhandlungen. (Thomas Mayer aus Brüssel, 25.7.2017)