Warschau – Friedensnobelpreisträger Lech Walesa hat sich am Samstag den Protesten gegen die Gerichtsreform der polnischen Regierung angeschlossen. Der frühere Präsident rief die Polen auf einer Kundgebung in Danzig dazu auf, das Erbe der demokratischen Revolution nach dem Ende des Kommunismus 1989 zu retten.

"1989 haben wir Euch ein demokratisches Polen gegeben", rief er unter dem Jubel der Menge. "Ihr musst nun dafür kämpfen – mit allen Mitteln." Walesa warf der rechtsnationalistischen Regierung in Warschau vor, die demokratischen Errungenschaften der Kämpfer gegen die kommunistische Herrschaft zu verspielen. "Unsere Generation hat es geschafft, Polen auf den richtigen Weg zu bringen und die Gewaltenteilung durchzusetzen", sagte er. "Wir dürfen nicht zulassen, dass das nun zerstört wird."

Wie in Danzig gingen am Samstag auch in anderen polnischen Städten wieder Demonstranten aus Protest gegen die Gerichtsreform der Regierung auf die Straße. Am Abend versammelten sich in der Hauptstadt Warschau mehrere tausend Demonstranten vor dem Präsidentenpalast. Sie forderten Staatschef Andrzej Duda auf, das Gesetz der Regierung zur Neuordnung des Obersten Gerichts durch sein Veto zu stoppen.

Untergrabung der Gewaltenteilung

Begleitet von landesweiten Protesten hat der polnische Senat das umstrittene Gesetz zur Neubesetzung des Obersten Gerichts verabschiedet. Nach 15-stündiger Debatte stimmten in der Nacht zu Samstag 55 Senatoren für die Vorlage der rechtsnationalistischen Regierung. 23 Senatoren stimmten dagegen, zwei enthielten sich. Das Unterhaus hatte dem Entwurf bereits zugestimmt.

Kritiker sehen in dem Gesetz einen Versuch der Regierung zur Untergrabung von Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit. Vor dem Parlamentsgebäude demonstrierten Regierungskritiker gegen das Gesetz, das die Kontrolle der Regierung auf das Oberste Gericht erheblich ausbaut. Sie riefen "Verräter", "Schande" und "Demokratie". Seit Tagen demonstrieren in polnischen Städten zehntausende Menschen gegen die Regierungspläne.

Proteste in Europa

Auch vor dem Polnischen Konsulat in Köln haben etwa 200 Menschen protestiert. Bei der friedlichen Kundgebung am Freitagabend habe auch ein Vertreter des Konsulats das Gespräch mit den Demonstranten gesucht, teilte die Polizei in der Nacht zu Samstag weiter mit. Aufgerufen zu der Mahnwache hatte die europäische Bürgerbewegung "Pulse of Europe". Am Wochenende sind Kundgebungen in weiteren europäischen Großstädten geplant.

Die Vorlage würde dem von der rechtsgerichteten Regierungspartei PiS gestellten Justizminister erlauben, Richter am Obersten Gericht abzuberufen und durch eigene Kandidaten zu ersetzen. Die Opposition bezeichnete die Reform als "versuchten Staatsstreich".

Präsident ist am Zug

Die Gerichtsreform kann erst dann in Kraft treten, wenn Präsident Andrzej Duda das Gesetz unterzeichnet. Dafür hat er 21 Tage Zeit. Er kann die Vorlage aber auch abweisen oder zur Prüfung an das Verfassungsgericht weiterleiten.

Die EU-Kommission drohte Warschau am Mittwoch mit Sanktionen, die bis zum Entzug von Stimmrechten auf europäischer Ebene führen könnten. Anfang 2016 hatte sie bereits ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen eingeleitet.

Auch das US-Außenministerium hat die polnische Regierung angesichts ihrer umstrittenen Justizreform aufgefordert, die Unabhängigkeit des Justizsystems zu bewahren. "Die polnische Regierung fährt damit fort, Gesetze zu erlassen, die die gerichtliche Unabhängigkeit und Rechtsstaatlichkeit in Polen zu untergraben scheinen", erklärte Sprecherin Heather Nauert. Alle Seiten müssten dafür sorgen, dass die Reform nicht gegen die Verfassung verstoße und die Grundsätze der Gewaltenteilung gewahrt würden, forderte sie. (APA, red, 23.7.2017)