Seit der Wirtschaftskrise war der ÖBB-Güterverkehr auf Downsizing programmiert, nun fehlen der Rail Cargo Austria Transportkapazitäten.

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In einem Brief an tausende Kunden räumt der ÖBB-Güterverkehr Anfang Juli "Ressourcenengpässe" ein.

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Wien – Kaum ist der heißersehnte Konjunkturaufschwung in Österreich angekommen, bringt er auch schon Probleme. Als die Deutsche Bahn Cargo vom sprunghaften Anstieg von Stahltransporten überrascht (und überfordert) wurde, hat das vermehrte Güteraufkommen auch die ÖBB-Gütersparte Rail Cargo Austria (RCA) kalt erwischt. Anfang Juli spitzte sich die Lage zu, allein am ungarischen Grenzübergang Hegyeshalom/Nickelsdorf blieben an die 70 Güterzüge hängen, berichteten Bahnkunden dem STANDARD. Die Warteschlange konnte tagelang nicht abgefertigt werden. Als Grund nennen Branchenkenner wie ÖBB-Insider einen Mangel an Güterloks und Lokführern.

In einem Schreiben an rund 4000 RCA-Kunden räumt der RCA-Vorstand massive Probleme ein und nimmt "zur aktuell inakzeptablen Qualitätssituation" Stellung (siehe Faksimile): "Uns ist sehr bewusst, dass die Produktionsqualität der RCG (Rail Cargo Group; Anm. d. Red.) in den letzten Wochen bei weitem nicht Ihren Erwartungen entsprochen hat", heißt es in dem Brief, der dem STANDARD zugespielt wurde.

Ressourcenengpässe

Als Ursachen für tagelangen Stillstand nicht nur an der österreichisch-ungarischen Grenze werden "neben Ressourcenengpässen aufgrund des unerwarteten Mengenwachstums" insbesondere Infrastruktureinschränkungen wie Schäden an Oberleitungen und Schienen, Baustellen sowie Unwetterschäden genannt.

Wiewohl "intensiv bemüht, die Situation wieder zu stabilisieren", lösten sich die Probleme nicht auf. Im Gegenteil, es kamen neue dazu, denn das neue EDV-System des ungarischen Schienennetzbetreibers Máv Pályavasút, das Pendant der ÖBB-Infrastruktur, habe aufgrund mangelhafter Schnittstellen "zu erheblichen Problemen im gesamten Schienennetz" geführt, führte die RCA-Führung aus.

"Die Ungarn konnten Züge nicht abfertigen", betonte auch ein ÖBB-Sprecher, hinzu seien technische Probleme gekommen. Aber man arbeite intensiv an deren Behebung. Die ÖBB sei flexibel, habe soeben zehn gebrauchte Lokomotiven gekauft und miete auch Traktionsfahrzeuge an. "Wir fahren mit allem, was wir haben", versicherte ÖBB-Sprecher Bernhard Rieder.

Hausgemachte Probleme

Woher die Probleme in Zugbildung und Traktion im Güterverkehr (im ÖBB-Jargon Produktion genannt) stammen und bis wann der Rückstau aufgelöst wird, war am Montag nicht in Erfahrung zu bringen. "Die Probleme an der Grenze zu Ungarn haben sich mittlerweile deutlich entspannt", betonte der ÖBB-Sprecher auf Anfrage des STANDARD. Man arbeite intensiv an der Schaffung zusätzlicher Ressourcen, versicherte auch der RCA-Vorstand in seinem Schreiben an die RCA-Kunden. Im Juli und August würden acht zusätzliche Loks in Betrieb genommen, und man sei mit Partnern und Vermietern in Gesprächen, diese Zahl für den Herbst weiter zu erhöhen. Und: Bis Jahresende sollen 200 Triebfahrzeugführer zusätzlich eingesetzt werden.

Bei ÖBB-Konkurrenten und Subunternehmern der RCA ortet man freilich auch hausgemachte Probleme in der Zugplanung. Die Loks stünden teils an den falschen Stellen. Zudem habe der Ausbau der RCA-Eigentraktion im Ausland die Kooperationsbereitschaft anderer Staatsbahnen massiv verschlechtert. "Spott, Häme und Forderungen" habe RCA mit dem Massenmail in der Branche geerntet, beschreibt ein ÖBB-Insider die Vorgänge. Die Forderungen auf Preisnachlass wegen Verspätungen und entgangener Cargotransporte bewegten sich inzwischen in Millionenhöhe – die Kosten für Anmietung und Personal nicht inkludiert. Dazu gab es von der Bahn keinen Kommentar. Man sei mit den Kunden in enger Absprache, um rasche und zufriedenstellende Lösungen zu finden. (Luise Ungerboeck, 18.7.2017)