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Die Cannes-Jurorinnen Agnes Jaoui, Jessica Chastain und Maren Ade (von li.) posieren auf dem roten Teppich. Doch der Schein trügt, findet Ade, die im Vorfeld der Verleihung des Deutschen Filmpreises konstatierte, es gebe immer noch viel zu wenige von Frauen gemachte Filme. Kann eine Quote die Lösung sein?

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Peter Truschner (49) ist freier Schriftsteller und Fotograf. Er lebt in Berlin. Instagram: peter.truschner, Website: www.peter- truschner.net

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Im Vorfeld der Verleihung des Deutschen Filmpreises (bei dem sie mit Toni Erdmann sechs Preise einheimste) hat sich die Regisseurin Maren Ade – nicht als Erste – für eine Einführung von Quoten im deutschen Film starkgemacht. Immer noch werden viel zu wenige Filme von Frauen gemacht, meint sie, eine Quote von 50 Prozent wäre wünschenswert, 30 Prozent wären schon ein Erfolg.

Dabei gibt es gar nicht so wenige Frauen im Filmgeschäft, und noch mehr drängen von den Hochschulen aus hinein, nicht anders als in anderen Kunstsparten. Mara Delius hat demzufolge in der Welt festgestellt: "In der deutschen Bücherwelt wimmelt es nur so von Frauen." Aber: "Die Mehrzahl der Entscheider sind Männer: Herausgeber, Verleger." Im Film ist das noch einmal ein größeres Problem, weil selbst bei überschaubaren Filmproduktionen ungleich höhere Summen im Spiel sind als im Buchhandel.

Wenn es gelänge, den Herrenklub zu sprengen, der (nicht nur) im Film über die Vergabe der großen Summen und Mittel entscheidet, würde es unbestreitbar mehr Filme von Frauen geben. Wer häufig mit Frauen in künstlerischen Berufen zu tun hat, wunderte sich auch nicht über die Erfahrungsberichte, die im Zuge von Anne Wizoreks "Aufschrei" öffentlich wurden – die Art und Weise, wie vor allem Berufseinsteigerinnen in der Branche nicht ernst genommen und deren Sichtweisen bagatellisiert werden. Die Kostümbildassistentin, die vom Regisseur "Baby" genannt wird? Die Cutterin, die bei der Besprechung vom Produzenten zum Kaffeeholen geschickt wird? Business as usual.

Dennoch gibt es in der Kunst noch andere, komplexere Hindernisse für Frauen, die weniger offensichtlich, partiell sogar mit gewissen Tabus behaftet sind, weshalb sie im konformistischen Strom der Medien untergehen oder erst gar nicht zur Sprache kommen. Sie gehen außerdem über das hinaus, was Delius (nicht als Einzige) als den Alleinschuldigen ausgemacht hat: "das Männersystem".

1. Die Harmoniefalle

Immer wieder kommt es unter den Teilnehmer*nnen von Workshops und den Mitarbeiter*nnen von Projekten zu Konflikten. Aggressionen entladen sich, es kommt zu Schuldzuweisungen, Tränen, divenhaften Allüren oder machohaftem Gebaren. Es ist auffällig, dass junge Frauen sich mit Konflikten dieser Art deutlich schwerer tun als junge Männer: Nicht selten laufen sie vor ihnen davon, ziehen sich für den Rest der Zeit in sich zurück oder – der Worst Case – fühlen sich dazu berufen, diese Konflikte abzufedern, für die Harmonie im Team zu sorgen.

Wenn man einer Studentin oder Mitarbeiterin dann klarzumachen versucht, dass es nicht die Aufgabe einer Künstlerin ist, für die Wohlfühlatmosphäre im Team oder beim Publikum zu sorgen, und sie sich dahingehende Verhaltensweisen abgewöhnen soll, da sie sonst schnell in der klassischen Praktikantinnen- und Assistentinnenecke landet, die jede/r gerne ausbeutet, aber niemand besonderen Respekt entgegenbringt, erntet man anfangs keine Begeisterung – im Gegenteil. Man rührt – noch dazu als Mann – an etwas Grundsätzlichem: wie Frauen wahrgenommen werden und wahrgenommen werden wollen, dass es förmlich als Übergriff empfunden wird.

Einerseits wird Mädchen eingebläut, die Welt stehe ihnen offen, sie könnten alles werden, was sie wollten – und gleichzeitig sollen sie dabei nett, höflich und hilfsbereit sein. Wie soll das gehen, erst recht in der Kunst, wo es nicht selten darum geht, sich schonungslos an Themen heranzuwagen, die kontrovers und unangenehm sind?

Ein anderer Grund, warum viele Frauen es sich erst gestatten und erlernen müssen, eigensinnig zu sein und unangenehm aufzufallen, ist die Tatsache, dass die meisten Männer auf längere Sicht keine Frauen wollen, die zu eigensinnig sind und unangenehm auffallen. Und, damit ist das Dilemma perfekt, Frauen genauso wenig. Wenn Frauen unberechenbare Künstlerinnen und Wissenschafterinnen schätzen, dann nicht selten solche, die bestenfalls tot sind, und nicht gerade um die Ecke oder gar im eigenen Haus wohnen. (Man müsste mal die betretenen Mienen von Vätern und Müttern fotografieren, wenn ihre Tochter bei einer Veranstaltung auf eine für sie bis dahin unbekannte, ja "unerhörte" Weise abgeht.)

Medien wie Instagram, in denen sich junge Frauen exponieren, täuschen in ihrer Entfesselung narzisstischer Selbstdarstellung über dieses Problem hinweg, da die meisten nicht reflektieren, dass in ihnen zumeist nur ein langfristig auf Umsatz und Profit zielender Lifestyle vorgeführt wird, kein Leben.

2. Die Konkurrenzfalle

Ein weiterer Grund, warum Frauen (und in diesem Zusammenhang auch Männer) nicht unangenehm auffallen wollen, ist die Tatsache, dass die Anzahl an Menschen, die in den Künsten ausgebildet werden, in keinem Verhältnis steht zu der Anzahl jener, die davon wirklich (und nicht nur prekär) leben können. Das macht aus potenziellen Mitstreiterinnen von Beginn an Konkurrentinnen auf der Jagd nach der möglichst renommierten Referenz und dem Erfolgslebenslauf.

Die Ursituation auf dem Schulhof, die in den sozialen Medien und in Formaten wie Germany's Next Top Model ihre Fortsetzung findet, herrscht auch vom ersten Semester an an der Uni im Kunstbetrieb vor: das ewige Casting. Der Regisseur Dominik Graf spricht von einer "Nadelöhr-Situation", die den Nachwuchs erpressbar und schneller zu Kompromissen bereit macht.

Wer einmal versucht, Student*innen von etwas Naheliegendem, weil Erfolgsversprechendem, zu etwas Abwegigem, Riskantem zu verführen, weiß, wovon die Rede ist. Wobei es aber auch hier auffällig ist, dass junge Männer sich tendenziell mehr trauen, punktuell zu scheitern oder sich lächerlich zu machen.

In solchen Momenten kommt bei ihnen der dreckige Stolz des kleinen Jungen zum Vorschein, der gerade großartig Scheiße gebaut hat, ein Stolz, der vielen jungen Frauen fehlt und mit dem sie in ihrem sozialen Umfeld offensichtlich keine oder keine positiven Erfahrungen machen konnten.

3. Die Solidaritätsfalle

Wenn schon nicht von diesen Übeln befreien, so doch ihre Auswirkungen lindern und Frauen mit logistischen und finanziellen Zuwendungen den Rücken stärken sollen wiederum: Frauen. Oder besser: Frauennetzwerke. Die Medien sind voll von Artikeln, deren Verfasserinnen unautorisiert im Plural sprechen: "Wir Frauen". Einfach alle sind gemeint. (Dass die "Normalo-Frau" – heterosexuell, nicht aus Berlin, Hamburg oder München stammend, von einem privaten Familienglück im eigenen Haus träumend – in bildungsbürgerlichen Medien kaum thematisiert wird, sollte dabei niemanden wundern.)

Frauennetzwerke haben sicher viel bewirkt und nicht wenigen Frauen die Arbeit und die Karriere erleichtert, keine Frage. Aber wie sehen diese Netzwerke aus? Und wie sieht es im Zeitalter des Individualismus, Hedonismus und dem zugrunde liegenden Kapitalismus in der Kunst damit aus?

Als ich in Istanbul 2009 verblüfft darüber war, wie fest die Gegenwartskunst in der Hand von Frauen war, klärte mich eine türkische Kuratorin trocken auf: Den Bereich hat man den Frauen überlassen, weil die Männer dachten, er sei nicht lukrativ und prestigeträchtig genug.

So ungefähr muss man sich das auch in den USA vorstellen, zur Zeit Peggy Guggenheims, als die an Erdöl, Waffen, Stahl und Tabak interessierten Patriarchen den Frauen den Zugang zu einem für sie weniger interessanten Bereich auch institutionell ermöglicht haben.

Die Netzwerke in der bildenden Kunst, darunter einflussreiche und dezidiert feministische, haben also eine lange Tradition, sind fest etabliert. Umso merkwürdiger erscheint da die immer gleiche Klage, dass es letztlich so wenige Frauen in der Kunst schaffen, so wenige übrig bleiben von denen, die an den Start gegangen sind.

Der Irrtum liegt darin, dass die Leute glauben, "Frauenförderung" bedeute, dass Frauen gefördert werden. "Frauenförderung" bedeutet in Wahrheit, dass Fördergeld zur Verfügung steht – in den USA über universitäre und andere private Stiftungen ein vielfaches Millionenvermögen.

Die primäre Aufgabe US-amerikanischer Kunstinstitutionen ist, so viel wie möglich von diesem Geld einzustreichen – genau das ist es auch, worum sich Geschäftsführerinnen und Kuratorinnen hauptsächlich kümmern. Die Förderungen betreffen dabei wie üblich die 18- bis 35-Jährigen.

Danach nehmen sowohl die Förderungen als auch das Interesse der Kuratorinnen an den Künstlerinnen drastisch ab. Ob es eine 45-Jährige geschafft hat, durchzuhalten – who cares? Schon gar nicht eine Kuratorin des MoMA oder der Guggenheim Foundation. Eine Frau agiert in einer solchen Position nicht anders als ein Mann: im Sinne der Institution und im Sinne der eigenen Karriere.

Deutlich wird: Auch wenn es sich nach wie vor um ein "Männersystem" handelt, so ist es doch ein System, dem viele Frauen sich inzwischen nicht mehr "unterwerfen" müssen, sondern das sie als generelles Machtsystem selbstverständlich für sich nutzen, um eigene, persönliche Ziele zu verwirklichen. Ebenso wenig, wie die meisten Männer im Kunstbetrieb in der Sache des Mannes unterwegs sind, sind es Frauen in der Sache der Frau – im Grunde eine Banalität.

Ich will hier nicht weibliche Netzwerke diskreditieren oder die in Einzelfällen sicher wichtige Unterstützung, die Frauen anderen Frauen leisten. Ich will lediglich verhindern, dass gerade kreative Frauen den ungehemmten "Wir Frauen"-Kitsch allzu wörtlich nehmen – und dann zwangsläufig enttäuscht sind, wenn sich nichts tut. Meiner Erfahrung nach ist eine eigensinnige, unangepasste Einzelgängerin, die sich keinem Korpsgeist unterordnen will, in Frauennetzwerken genauso wenig willkommen wie ihr männliches Pendant in Männernetzwerken – gleichgültig, wie herausragend ihre Fähigkeiten auch sein mögen. (Der aktuelle Frauenkitsch ist übrigens nur eine zeitspezifische Variante des Männerpathos von früher, in dem jeder blasse Bürohansel sich als Jäger sehen durfte, der in die Wildnis hinausging, um Beute für die Familie zu machen, die seiner Rückkehr am Abend mit einem gedeckten Tisch zu huldigen hatte.)

Hat es eine Frau so weit geschafft, wartet noch eine vielen Frauen bereits bekannte und gefürchtete Falle auf sie.

4. Die Mutterfalle

Man hat ein schlechtes Gewissen, etwas Schönes – die Geburt eines Kindes – so zu nennen, aber es ist nun mal in meinem erweiterten Bekanntenkreis (und darüber hinaus) einfach so: Die Arschkarte hat bei einem Kind und nicht zuletzt bei der Trennung vom Vater des Kindes die kreative Frau – erst recht, wenn beide in den kreativen Berufen tätig sind.

Zurückstecken muss meistens die Frau, was in dem Fall langfristig nicht selten mit dem Abschied von jeder ernsthaften künstlerischen Ambition einhergeht. Neue Väter hin oder her. Manchmal sind Frauen selber schuld, etwa wenn sie sich aufgrund ihrer tickenden inneren Uhr zu etwas Unüberlegtem hinreißen lassen; meist aber lässt einfach der Partner, der doch sonst bei feministischen oder vegetarischen Themen immer mitgezogen und selbst über die "alten, weißen Männer" gelästert hat, dann einfach aus, wenn es darauf ankommt.

Der weibliche Körper und die weibliche Sexualität sind seit jeher ein gesellschaftlicher Kampfplatz gewesen und werden es auch bis auf weiteres bleiben. Frauen tun daher gut daran, die Augen offen zu halten, und zwar in alle Richtungen – für wie sicher und fortgeschritten sie sich selbst und die Gesellschaft, in der sie aktuell leben, auch halten. (Peter Truschner, 15.7.2017)