Die Blutabnahme bei Patienten mit Mehrfachbehinderung dauert oft drei- bis viermal so lang wie bei anderen. In einer speziellen Ambulanz im zweiten Bezirk schaut man aber nicht auf die Uhr.

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Wien – Erika kann einfache Sätze gut verstehen, wenn sie klar und deutlich gesprochen werden und kurz sind. Sie kann Fragen mit Ja oder Nein beantworten, benötigt dafür aber ein bisschen Zeit. Erika gibt es nicht wirklich, sie ist ein Beispiel für Patienten in der Ambulanz für Menschen mit intellektueller und Mehrfachbehinderung der Barmherzigen Brüder Wiens und hat einen "Geko Wien"-Pass und die dazugehörige Mappe ausgestellt bekommen.

Die Abkürzung steht für Gesundheit und Kommunikation, die von der Stadt und der Gebietskrankenkasse erarbeiteten Unterlagen sollen als Hilfsmittel dienen, in denen strukturiert Informationen zu Patienten mit Mehrfachbehinderungen eingetragen werden können. Darin gesammelt werden Kompetenzen, Verhaltensweisen, spezielle Bedürfnisse und wichtige medizinische Daten der Passbesitzer. Denn diese geben selbst oft nur eingeschränkte Auskunft über ihre Gesundheit, Ärzte müssen sich darauf verlassen, was Sachwalter, Eltern oder Angehörige erzählen.

Wichtige Kleinigkeiten

Die schwerbehinderten Patienten würden selbst oft nur nonverbal kommunizieren, seien unsicher in unbekannten Gegenden und bräuchten in der Betreuung "viel Einfühlungsvermögen und Geduld", wie Katharina Reich, ärztliche Direktorin der Barmherzigen Brüder, erklärt. Im Umgang mit den Patienten können Kleinigkeiten – wie etwa die Frage, ob eine Person lieber mit ihrem Vor- oder Nachnamen angesprochen wird – ein "wichtiger Meilenstein" in der Behandlung sein. Darum dürfen bei den Barmherzigen Brüdern Angehörige auch mit bis in den Operationssaal kommen, ein Röntgenbild wird schon mal im Stehen gemacht, wenn sich die Patienten nicht hinlegen wollen, und die Blutabnahme dauert etwa drei- bis viermal so lange wie sonst. "Wir schauen nicht auf die Uhr, uns geht es nicht darum, möglichst viele Patienten in kurze Slots einzuteilen", sagt Reich.

Zehn Patienten werden etwa pro Tag behandelt. Seit das Krankenhaus 2011 die erste Ambulanz für Menschen mit Mehrfachbehinderung ins Leben gerufen hat, kamen über 420 Patienten. Einmal in der Woche, immer mittwochs ab 13 Uhr, wird die Terminambulanz im zweiten Bezirk geöffnet. Wer keinen Termin hat, wird trotzdem behandelt.

Finanziert wird die Ambulanz von der Stadt Wien und der Wiener Gebietskrankenkasse. Heuer und 2018 werden im Rahmen der Gesundheitsreform 107.000 Euro investiert. Rund 260.000 Euro erhielt das Spital für die Jahre 2015 bis 2018. "Menschen mit Behinderung haben das gleiche Recht auf eine gute Gesundheitsversorgung wie Menschen ohne Behinderung", betont Kassen-Obfrau Ingrid Reischl. Das in der Ambulanz sowohl ehrenamtlich als auch angestellt arbeitende medizinische Personal, Ärzte wie auch Pfleger, ist im Umgang und in der Kommunikation mit den Patienten mit speziellen Bedürfnissen geschult.

Module für Lehrpläne geplant

Dies sei allerdings eher die Ausnahme. Derzeit finden sich in den Curricula der angehenden Ärzte und Pfleger nur sehr wenige bis gar keine Lerninhalte zu Patienten mit Mehrfachbehinderung. Wiens Gesundheits- und Sozialstadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) will das ändern: "Es braucht eine spezielle Ausbildung für Menschen, die mit diesen Patienten arbeiten." Mit dem Dachverband Wiener Sozialeinrichtungen wurden daher Qualifizierungsmodule für diese Patientengruppe erarbeitet.

In fünf Modulen soll ein Basisverständnis, Wissen über spezielle medizinische und pflegerische Anforderungen, Verständnis für die Lebenswelten und Kompetenzen zu Kommunikation vermittelt werden. Gespräche mit den Bildungseinrichtungen und Berufsverbänden würden bereits laufen, eine Lehrplanumstellung benötige aber eine längere Vorlaufzeit. (Oona Kroisleitner, 12.7.2017)