Ein Superheld, der nicht einfach vom Himmel fällt: In "Spider-Man: Homecoming" muss sich der Teenager Peter Parker (Tom Holland) erst mit seiner Identitätsfindung herumschlagen.

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Marvel-Chef Kevin Feige ist ein Comic-Enthusiast.

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Amy Pascal will Marvel mit Sony unter die Arme greifen.

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STANDARD: Herr Feige, Sie haben als Chef der Marvel Studios eine ganze Reihe von weniger bekannten Superhelden im Kino populär gemacht. Was bedeutet es für Sie, den Star Spider-Man nun zurückzuholen, dessen Lizenzen lange woanders lagen?

Feige: Es ist wie ein Traum, der wahr wird. Wir haben Superhelden wie Ironman oder Captain America, die nicht-Comic-affinen Menschen weniger bekannt waren, in globale Superstars verwandelt. Aber es gab immer noch Spider-Man. Er ist ganz anders als alle anderen Helden. Er hat unglaubliche Kräfte, aber er ist viel geerdeter. Er muss zur Schule gehen, rechtzeitig zu Hause sein, mit seiner Tante leben – er ist ein Teenager mit all den typischen Problemen. Zugleich agiert er nun an der Seite der anderen Avengers-Helden. Das haben wir noch nie im Kino gesehen, denn in den früheren Spider-Man-Filmen war er ein einsamer Held. In den Comics war das aber nie der Fall.

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STANDARD: Sie kehren also zu den Anfängen der Figur zurück, wie Stan Lee und Steve Ditko sie in den 1960ern erfunden haben?

Feige: Absolut. Die Figuren, aber auch der Tonfall wurde an die Comicvorlage angepasst, manches auch direkt daraus entnommen.

STANDARD: Wenn man einen solchen Reboot in Angriff nimmt, wo beginnt man da eigentlich?

Pascal: Wir wollen den Begriff Reboot eigentlich gar nicht verwenden. Es ist der erste Film, der Spider-Man in die Marvel-Welt führt. Er ist fünfzehn Jahre alt und sieht auch so aus. Man ist in diesem Alter am ehrlichsten mit sich selbst. Es ist also eine neue Geschichte.

Feige: Das war der Grund, warum wir ihn schon in "Civil War" eingeführt haben. Wir wussten, die Leute kennen ihn aus anderen Filmen. Nach 15 Marvel-Filmen wollten wir dem Publikum nun zeigen, dass sie den richtigen Spider-Man noch gar nicht gesehen haben. Er sorgt für den Kontrast zu den ernsthaften Anliegen, mit denen sich Captain America und Iron Man herumschlagen müssen. Er hat ihnen fast den Film gestohlen, weil Tom Holland so enthusiastisch und charmant ist. Es ist das erste Mal, dass ein Fan auch eine der Figuren ist.

STANDARD: Er führt sogar ein Videotagebuch. Ist das ein Wink in Richtung Snapchat-Generation?

Pascal: Das ist auch mit dem ursprünglichen Peter Parker verknüpft, der ja Fotograf war – eine moderne Version davon also.

Feige: Egal, welches Comic aus welchem Jahrzehnt auch immer Sie in die Hand nehmen, Spider-Man war stets ein Teenager seiner Zeit. Wir wollten ihn als jemanden zeigen, der in der realen Welt von heute lebt. Regisseur Jon Watts, der genauso fühlte, hatte diese Idee des Videotagebuchs. Wenn Sie dabei an Snapchat denken – ja, es ist sehr zeitgenössisch.

STANDARD: Spider-Man hat auch eine voyeuristische Ader: Er sieht sich gerne selber zu. Das ist ganz anders als bei den düsteren Helden, die niemand mehr sehen möchte.

Pascal: Wollen Sie sie noch sehen?

STANDARD: Nein.

Pascal: (lacht) Spider-Man ist keiner dieser grüblerischen Helden.

Feige: Was auch wieder ganz werktreu gegenüber den Comics ist, in denen es auch schon die ernsthaften Helden gab – und dann kam dieser Teenager, der Witze machte und nicht zu reden aufhörte, selbst wenn er sich mitten in einem Kampf befand. Nun wird er zu dieser Brise frischer Luft.

STANDARD: Die Highschool spielt in "Spider-Man: Homecoming" eine große Rolle, fast wie in einem Coming-of-Age-Film.

Pascal: Er ging immer schon zur Schule, doch Tom Holland sieht erstmals auch richtig danach aus. Wir wollten zeigen, wie sich das anfühlt, wenn man sich gerne an Tony Stark messen möchte, dann aber wieder in der Chemieklasse sitzt. Wie schwierig das ist.

STANDARD: Wie schwierig ist es?

Pascal: Nun, er hat mit den Avengers gekämpft, mit den Göttern sozusagen.

Feige: Wenn du Musiker wärst und in der Highschoolband spielst – okay, das macht Spaß. Aber man muss sich vorstellen, der größte Rockstar der Welt käme vorbei und würde dich eine ganze Woche nach Europa mitnehmen, und du wärst fast so gut wie die anderen, aber dann ist alles wieder zu Ende und du musst zurück in die Schule. So fühlt sich das an.

STANDARD: "Spider-Man: Homecoming" ist die erste Zusammenarbeit zwischen Sony und Disney beziehungsweise den Marvel Studios – hat das denn reibungslos funktioniert?

Feige: Ich finde, der Film ist der beste Beweis dafür. Es hat damit begonnen, dass wir beide, Amy und ich, über diesen Helden gesprochen haben, den wir lieben. Für viele ist der Gedanke faszinierend, dass zwei echte Ungeheuer von Filmunternehmen sich gemeinsam auf etwas einlassen – aber für uns entwickelte es sich einfach. Alles beruht auf der Einschätzung beider Unternehmen, was das Beste für diese Figur sein könnte.

Pascal: Und es ist sehr ungewöhnlich, dass zwei Unternehmen so viel Kontrolle und Macht abgeben, weil sie etwas verbessern wollen.

STANDARD: Es wird eine Menge weiterer Spider-Man-Filme geben, nicht wahr?

Feige: Wir haben viele Pläne mit Spider-Man. "Homecoming" ist die Einführung, Tom Holland hat aber auch schon für den nächsten Avengers-Film gedreht und wird noch mehr davon machen. Und er wird nicht nur auf die Avengers, sondern auch auf die Guardians of the Galaxy treffen. Alle diese Filme werden sich also verbinden lassen. Wie wird Peter Parker reagieren, wenn er mit Aliens zusammentrifft oder mit einem Waschbären reden muss?

STANDARD: Worin liegt der Marvel-Touch? Ist es der Humor – oder doch ein Geheimrezept?

Feige: Humor spielt eine große Rolle, keine Frage. Wir haben das freilich nie definiert, wir folgen eher unseren Instinkten. Wenn ein Publikum den Humor annimmt, dann kann man es auch auf der emotionalen Ebene abholen. Wichtig ist es für uns auch, Risiken einzugehen, Dinge zu machen, die überraschend sind. Die Comic-Covers mögen alle gleich wirken, aber wenn man sie liest, merkt man schnell, wie divers sie sind. Deshalb versuchen wir, mit jedem Film im Marvel-Universum ein eigenes Genre zu definieren. Black Panther etwa wird der erste schwarze Superheld sein. In "Captain Marvel" wird Brie Larson eine Superheldin spielen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Einzigartigkeit.

Pascal: Bei Marvel ist die Überzeugung, dass nichts gut genug ist, oberstes Gebot. Jedes Detail muss durch diesen Lackmustest.

STANDARD: Das heißt, die Regisseure haben es bei Ihnen eher schwer?

Feige: Nein, wir sind sehr gemeinschaftsorientiert – das ist Teil unserer Philosophie. Wir bringen uns vor allem in der Entwicklung des Drehbuchs und beim Schnitt ein, nicht so sehr beim Drehprozess selbst.

STANDARD: Für viele Kinobesucher erscheint es so, dass Hollywood nur noch Blockbuster und Superheldenfilme macht. Haben Sie für den Überdruss Verständnis?

Feige: Das werde ich seit 15 Jahren gefragt. Und ich sage immer, wir machen weiter, solange wir es unverwechselbar machen können. Niemand soll sich davon gelangweilt fühlen, bevor wir es nicht selbst tun. Alles, was wir tun, tun wir eigentlich, um uns selbst zu unterhalten. Die Reaktion des Publikums zeigt uns, dass der Enthusiasmus immer noch da ist. (Dominik Kamalzadeh, 13.7.2017)