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190 Millionen Kühe soll es in Indien geben. Es könnten dank der Kuhschutzmaßnahmen noch mehr werden.

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Das durchaus berechtigte Anliegen Kuhschutz diene immer mehr als Vorwand, um Stimmung gegen Muslime zu machen, monieren Kritiker. Hier wird gegen das Verbot des Rinderhandels für Schlachter protestiert.

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Der Bundesstaat Tamil Nadu hatte unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesetzes angekündigt, vor das Höchstgericht zu ziehen.

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Neu-Delhi – Fleisch spaltet nicht nur die entwickelten Gesellschaften. Auch im aufstrebenden Schwellenland Indien tobt ein heftiger Streit. Es geht um die "heilige Kuh". Das Problem: Sie ist nicht allen Indern heilig. Für die Muslime spricht nichts dagegen, die Tiere zu schlachten und zu essen. Auch das Schlachtergewerbe wird von ihnen dominiert.

Doch auch Christen und die früheren Unberührbaren haben nichts gegen Fleisch zwischen den Zähnen. Und der zunehmende Wohlstand und eine damit einhergehende abnehmende Religiosität machen sich ebenfalls auf den Tellern bemerkbar. Einige Millionen Inder essen Fleisch. Um 14 Prozent ist der Verzehr zuletzt in ländlichen Gebieten gestiegen, um 35 Prozent in den Städten. Rind- und Büffelfleisch gehören dazu.

Personalausweis für die Kuh

Ganz anders sieht es bei den Hindus aus. Vor allem die radikalen unter ihnen wollen das nicht dulden. Im Kulturkampf um die Kuh wird mit harten Bandagen und für europäische Ohren durchaus auch skurrilen Ideen gekämpft. Die Regierung erwägt etwa, Kühe in Zukunft mit eigenen "Personalausweisen" auszustatten. Dazu gehört ein Chip mit einer eindeutigen Identifikationsnummer im Ohr. Kuhambulanzen, Kuhkrankenwägen, Notfallnummern, die Bürger bei Rind in Not rufen können, und Kuhheime sind jetzt schon Realität. "Altersheime" für Kühe, die keine Milch mehr geben können, sind geplant.

Der Kampf um die Kuh tobt schon lange. Zuletzt nahm er aber an Heftigkeit zu. Aus gutem Grund. Die politische Heimat von Premierminister Narendra Modi ist die hindunationalistische BJP, die verschiedenen radikalen Hindugruppen in Indien nahesteht. Das Wohlergehen der Kühe gehört zu ihren Kernanliegen. In vielen indischen Bundesstaaten sind das Schlachten von Kühen und der Verkauf von Rindfleisch schon verboten.

Kuhschutztruppen

Selbst von gewalttätigen Konflikten, etwa wenn sogenannte Kuhschutztruppen ihren Mitbürgern nachspionieren und ihnen vorwerfen, Rinder geschlachtet zu haben oder sie ins Schlachthaus bringen zu wollen, ist zu hören. Auch Menschenleben hat der Streit schon gekostet. Am Dienstag wurde ein neues Kapitel aufgeschlagen. Der Supreme Court, zuständig unter anderem auch für Streitigkeiten zwischen der Union und Einzelstaaten, hat eine Regierungsverordnung außer Kraft gesetzt, die den Rinderhandel für Schlachter verboten hatte.

Einmal mehr wollte die Regierung damit die Tiere schützen, illegalen Schlachtungen sowie ihrem Schmuggel ins muslimische Bangladesch einen Riegel vorschieben. Das Höchstgericht argumentierte hingegen, dass die Existenz vieler Inder unmittelbar an den Rindern hänge. Zugute kommen soll die Aufhebung vor allem der Fleisch- und Lederindustrie, die Millionen von Niedriglöhnern beschäftigt.

Landwirtschaftliche Zwecke

Modis Regierung hatte zuvor verordnet, dass die Rinder nur noch für landwirtschaftliche Zwecke auf Märkten gehandelt werden dürfen, etwa für den Einsatz zum Pflügen am Feld oder für die Milchproduktion. Widerstand dagegen gab es in mehreren Bundesstaaten. Milliardenschäden für die Exporteure und den Verlust zahlreicher Jobs hatten manche befürchtet. Von einem schweren Rückschlag für den Fleisch- und Ledersektor war die Rede. Immerhin hat sich das Land in den vergangenen Jahren zu einem der größten Fleischexporteure der Welt entwickelt. Indien exportiert besonders viel Rindfleisch.

Das Gesetz wurde bereits Ende Mai von einem Gericht im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu ausgesetzt, wenige Tage nachdem es in Kraft getreten war. Ein Ende des Kulturkampfes ist damit nicht in Sicht. Erwartet wird, dass die Regierung bis Ende August eine Neufassung vorlegen wird. (rebu, 11.7.2017)