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Emmanuel Macron und Angela Merkel: Die persönliche Chemie zwischen beiden stimmt, die politische Weit- und Umsicht in Europa müssen sie noch beweisen.

Foto: AP Photo/Markus Schreiber

Die Selbstsicherheit ist zurück in Europas Staatskanzleien – akkurat in Zeiten, in denen sich US-Präsident Donald Trump erneut in Europa angesagt hat. Während des "annus horribilis" 2016 haben viele um das Überleben der Europäischen Union gefürchtet. 2017 allerdings gibt es neue Hoffnung für das europäische Projekt: Emmanuel Macron wurde zum französischen Staatspräsidenten gewählt, die Populisten in den Niederlanden, in Österreich und Deutschland haben Wahlen verloren. Und Donald Trumps Popularität in den USA schrumpft.

Die unlängst geschmiede- te "Mercron"-Partnerschaft zwischen Macron und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt europäische Politiker aufgeregt über die Neuerfindung der Eurozone sprechen. Es gibt neuerdings Vorschläge für ein gemeinsames Eurozonen-Budget und einen Eurozonen-Finanzminister, genauso wie über eine Sicherheitsunion auf EU-Niveau, um gegen Terrorismus vorzugehen und die EU-Außengrenzen besser zu schützen.

Darüber hinaus hat die EU-Kommission im vergangenen Monat einen Verteidigungsfonds lanciert, der den Spalt zwischen dem Anspruch auf Verteidigung und der Fähigkeit der Union schließen soll. 510 Millionen Europäer sollen nicht mehr von 320 Millionen Amerikanern abhängig sein, wenn es um ihre Sicherheit geht.

Kalter Friede

In der Vergangenheit haben sich viele Mitgliedsstaaten über den "kalten Frieden" zwischen Frankreich und Deutschland beklagt, der eine effektive Regierung der Union behindere. Heute haben diese Staaten ihr wiedererneuertes Vertrauen in das aufstrebende französisch-deutsche Verhältnis ausgedrückt. Wenn Frankreich und Deutschland es allerdings verabsäumen, den anderen einen Teil ihres Erfolges abzutreten, dann könnte diese die Reue des Käufers überkommen.

Bei der Jahresversammlung des European Council on Foreign Relations in Berlin im vergangenen Monat haben 250 frühere und amtierende Ministerpräsidenten, Außenminister, Politiker und Intellektuelle den Zustand der europäischen Sache diskutiert. Viele von ihnen waren hin- und hergerissen zwischen der Begeisterung über den europäischen Neustart und der Furcht, dass das neue "Mercron"-Arrangement andere Staaten zurücklassen könnte..

Für Frankreich und Deutschland lohnt es, sich daran zu erinnern, dass die "Merkozy"-Ära – als Merkel und der frühere französische Präsident Nicolas Sarkozy eine Allianz eingingen – Feindseligkeit in anderen europäischen Hauptstädten erzeugt hat. Andere EU-Staaten verübelten es Paris und Berlin, dass sie EU- oder eurozonenweite Lösungen entwickelten und diese den anderen Mitgliedern des Klubs später als "faits accomplis" präsentierten. Um ein Beispiel zu nennen: Einmal hielten Merkel und Sarkozy einen Gipfel ab, um engere Beziehungen zu Russland voranzutreiben, ohne die EU-Staaten in unmittelbarer Nachbarschaft zu Russland zu konsultieren.

Herausforderung für Frankreich und Deutschland ist, aus den jüngsten Wahlsiegen proeuropäischer Regierungen Kapital zu schlagen, ohne Rückschläge in den anderen EU-Staaten zu provozieren. Das wird nicht einfach sein. Vor allem, weil die politischen Führungen in Frankreich und Deutschland zwischen widerstrebenden Visionen von Europa zerrissen sind.

Eine Vision favorisiert eine Union aus konzentrischen Kreisen mit der französisch-deutsch-geführten Eurozone in ihrer Mitte. Diese Idee ist ansprechend, zumindest an der Oberfläche, weil sie den Kernstaaten erlauben würde, sich weiter zu integrieren, und gleichzeitig die Problemkinder wie Ungarn und Polen zurückgelassen werden könnten.

Aber diese Strategie würde, wiewohl sie dem Bedarf einer tieferen Integration der Eurozone entsprechen würde, nicht die lang anhaltenden Spaltungen Europas zwischen Ost und West, Nord und Süd, Zentrum und Peripherie lindern. Themen wie Russland, Migration, Austerität, Militäreinsätze, Brexit würden die europäische Solidarität weiterhin untergraben.

Die zweite Vision für die Zukunft Europas stellt auf Koalitionen zwischen Staaten ab, die willens und fähig sind, miteinander zu arbeiten. In einem weitgehend intergouvernmentalen Europa könnten Koalitionen effektives Handwerkszeug sein und die Veto-Power lindern, die in formellen EU-Treffen präsent ist. Diese Koalitionen könnten sogar Verträge abschließen, um ihre Arrangements zu formalisieren – so wie den Schengenvertrag.

Im Koalitionenmodell könnten sich Ländergruppen verändern, je nachdem um welches Thema es geht. Das würde mehr Flexibilität erlauben. Und, obwohl Frankreich und Deutschland wohl im Zentrum vieler dieser Gruppen sein würden, könnten andere Staaten die Führung übernehmen und im Rampenlicht stehen. Der EU-Relaunch wäre so weniger spaltend. Polen und Schweden etwa haben einst die "Östliche Partnerschaft" der EU in Richtung Ukraine vorangetrieben.

Die "Mercron"-Partnerschaft hat bessere Chancen, guten Willen in Europa zu schaffen, als es "Merkozy" je hatte. Für den Beginn wird die Machtbalance zwischen Frankreich und Deutschland etwas mehr zugunsten von Paris ausschlagen, weil sich die französische Wirtschaft erholt und durch die von Macron versprochenen Reformen für neues Wachstum positioniert sein wird.

Darüber hinaus könnte Macron in der Lage sein, bessere Beziehungen zu Staaten aufzubauen, die sich zuvor mit Frankreich schwertaten. Und nicht zuletzt verfügt Macron über eine große Menge an "soft power" und politischem Kapital, wie einst Barack Obama, nachdem ihn eine Graswurzel-Bewegung an die Macht gebracht hatte.

Gleichzeitig ist Deutschland in einer schwächeren Position als in der "Merkozy"-Periode. Wegen der Flüchtlingskrise ist Berlin ein "demandeur" und nicht ein Lieferant von europäischen Gütern. Das sind gute Nachrichten. Und wenn Merkel auch unverzichtbar auf der internationalen Bühne erscheint, viele beginnen bereits für das Ende ihres Mandats zu planen, das nun in sein zwölftes Jahr geht.

Fehlschläge überwinden

Merkel und Macron brauchen beide die "Mercron"-Partnerschaft, wenn sie ein stärkeres Europa erreichen wollen. Vor allem aber ist ihr Realismus über das bilaterale Verhältnis und dessen Möglichkeiten essenziell. Europas größte Stärke war niemals eine detaillierte Vision der Zukunft, sondern die kollektive Bereitschaft, vergangene Fehlschläge zu überwinden.

Wenn Macron und Merkel diese historische Perspektive im Auge behalten, dann können sie ihre Beziehung in eine offene politische Ehe verwandeln, von der ganz Europa profitieren wird. Copyright: Project Syndicate. (Mark Leonard, 7.7.2017)