Die Wirtschaftsmisere treibt die Venezolaner auf die Barrikaden.

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Caracas/Puebla – Von der Kellnerin in Panama, die ihr Trinkgeld regelmäßig an die altersschwache Mutter in Caracas überweist, über den Programmierer, der für ausländische Kunden arbeitet, bis zum Geschäftsmann, der Importe bezahlen muss, von der venezolanischen Regierung aber keine Devisen zugeteilt bekommt. Sie alle bezahlen virtuell, mit den elektronischen Währungen Bitcoin oder Dash. Galoppierende Inflation, rasanter Währungsverfall, Devisenverkehrskontrollen – kaum ein anderes Land bietet nach Einschätzung von Dash-Geschäftsführer Ryan Tylor bessere Voraussetzungen für die Erprobung des virtuellen Geldes als Venezuela.

Exilgemeinde überweist in die Heimat

Anfang 2016 ging Cryptobuyer als erste venezolanische Plattform für virtuelles Geld an den Start, bis heute haben sich laut Mitbegründer Jorge Farías mehr als 10.000 Nutzer registriert. Vor allem die Exilgemeinde nutzt die Möglichkeit, schnell und günstig Geld in die Heimat überweisen zu können. Weil in Venezuela weder Western Union noch Paypal funktionieren und sich bei Banktransfers die Dollars zum offiziellen Wechselkurs in kümmerliche Brosamen verwandeln, sind Bitcoins und Co eine willkommene Alternative.

"Die Transaktion dauert wenige Minuten, unsere Kommission liegt bei drei bis sieben Prozent und ist damit niedriger als die der Banken, und unser Wechselkurs wird von Angebot und Nachfrage geregelt und ist damit realistischer als der offizielle", sagt Farías.

Die meisten Empfänger in Venezuela zahlt er bar in der heimischen Währung Bolívares aus, wer will, kann aber auch sein Handy aufladen lassen oder Geschenkkarten von Internetanbietern wie Amazon erhalten und damit im Ausland einkaufen – zum Beispiel benötigte Medikamente – und diese über Paketdienstleister nach Venezuela einfliegen lassen.

Derzeit ein Nischenprodukt

Chinesische Händler geben wegen ihrer schlechten Erfahrungen mit der venezolanischen Devisenbehörde Farías zufolge sogar schon Rabatt für die schnelle und unbürokratische Bezahlung mit Bitcoin oder Dash. In Panama hat Cryptobuyer in der dortigen Banistmo-Bank den ersten Geldautomaten aufgestellt, den man mit Dollar und bestimmten Codes füttert, um das Bitcoin-Konto venezolanischer Verwandter aufzuladen.

Noch ist das Ganze ein Nischenprodukt, wie der ehemalige Präsident des Unternehmerverbands Fedecámaras, Noel Alvarez, einräumt. "Höchstens ein Prozent der Bevölkerung hat dazu Zugang, aber in unserer Lage ist es zweifelsohne sehr nützlich, und ich habe damit gute Erfahrungen gemacht. Allerdings ist das Volumen noch viel zu gering für größere Operationen."

Venezolanische Investoren hat das virtuelle Geld bisher nicht angezogen. Die meisten Transaktionen belaufen sich Farías zufolge auf zwischen fünf und 500 US-Dollar. Zwar hätten Bitcoins und Dash wegen der Inflation Farías zufolge das Potenzial von Zufluchtswährungen. Doch dass das virtuelle Geld auf einer App im Handy "lagert", ist in einem so kriminellen Land wie Venezuela offenbar doch vielen zu riskant – hinzu kommen die starken Währungsschwankungen, denen vor allem Bitcoin unterliegt. Rechtlich bewegen sich die Transaktionen in einer Grauzone. Eine irgendwie geartete Regulierung gibt es bisher nicht. (Sandra Weiss, 7.7.2017)