Straßburg – Der Vizepräsident der EU-Kommission Frans Timmermans hat neuerlich zur Solidarität aller Staaten in der Flüchtlingskrise aufgerufen. Diese Krise "wird uns Jahrzehnte lang begleiten". Es gehe heute darum, Italien nicht allein stehen zu lassen, sagte Timmermans Mittwoch im EU-Parlament in Straßburg im Rahmen der Debatte über die G-20-Vorbereitung.

Es sei auch notwendig, dass es eine umfassende globale Antwort zur Migrationskrise gibt. Die irreguläre Migration müsse in den Griff bekommen werden. Das Geschäftsmodell der Schleuser sei zu durchbrechen. Doch gehe es auch darum, dass sich jeder EU-Staat an seine Versprechungen halten. Jeder sollte sein Scherflein beitragen.

"Europa kann sich nicht zurücklehnen"

Wenn man heute auf das Jahr 2015 zurückblicke, habe sich in der Zwischenzeit viel verbessert. Es gebe eine unglaubliche Solidarität mit Flüchtlingen und Migranten in Griechenland und Italien, "aber Europa kann sich nicht einfach zurücklehnen auf dem Rücken der Solidarität der Menschen in Griechenland und Italien".

Timmermans betonte im Europaparlament, dass im Zusammenhang mit der Rettung von Flüchtlingen "niemand den NGOs etwas vorwirft". Die "Absichten der NGOs sind gut und ehrbar, sie versuchen, Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer zu retten. Niemand bestreitet das."

Aber ein Verhaltenskodex könnte helfen, Unfälle im Mittelmeer zu vermeiden. Er sei gegen Missverständnisse. Es gelte, dafür zu sorgen, dass die libysche Küstenwache ihre Arbeit in libyschen Gewässern wahrnehmen könne. Darauf ziele die Zusammenarbeit mit den italienischen Behörden, so Timmermans.

Ungarische Abgeordnete kritisiert Timmermans

Die ungarische EU-Abgeordnete Krisztina Morvai kritisierte Timmermans. Auch wenn Ungarn Flüchtlinge aufnehme, würden diese nicht bleiben wollen und nach Deutschland oder Österreich weiterwandern. "Diese Menschen wollen sich gar nicht in Ungarn integrieren, die wollen weiterziehen", deswegen sei der Ansatz von Timmermans falsch.

Diese Kritik wies Timmerman zurück: "Was wäre passiert, wenn 1956 der schwedische Premier, der dänische Regierungschef, der deutsche Kanzler, die Premiers von Belgien und Luxemburg gesagt hätten, diese Ungarn, die gehören kulturell einfach nicht zu uns. Die werden unsere Kultur auf eine Art und Weise verändern, die nicht akzeptabel ist, was wäre 1956 passiert?", so Timmermans. "Ich bin stolz auf Europas Erbe, das besagt, wenn Menschen verfolgt werden durch inhumane kommunistische Regierungen wie damals in Ungarn, dass die sicheren Schutz in Europa finden. Und die Ungarn haben in ganz Europa einen großen Beitrag zu unseren Gesellschaften geleistet".

EU-Vertragsverletzungsverfahren laufen

Die EU-Kommission hat gegen Ungarn – aber auch Polen und Tschechien – Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet: Die drei Staaten weigern sich, bei der mehrheitlich beschlossenen Umverteilung von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland mitzumachen.

Der ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament, Othmar Karas, verwies darauf, dass mit dem neuen Afrika-Fonds die Ursachen der Migration bekämpft werden sollten. "Wir müssen dem Migrationsdruck aus Afrika mit einer konsequenten Ursachenbekämpfung in jenen Ländern begegnen, aus denen die Migranten aufbrechen. Dabei dürfen wir nicht nur auf öffentliche Gelder setzen. Wir brauchen intelligente Instrumente, die auch private Investitionen in Afrika auslösen", forderte Karas.

Globale Verantwortung

Die liberale EU-Mandatarin Sophia in 't Veld sieht das Management der Migration als globale Verantwortung. Daher sei es begrüßenswert, dass sich die G-20 am Freitag in Hamburg damit beschäftigen. "Es ist weltweit ein wesentliches Thema". Allerdings sollten sich die EU-Staaten auch an ihre Verantwortung halten. Griechenland und Italien dürften nicht im Regen stehen gelassen werden. Es sei eine "Schande", wenn ein niederländischer Premier beim letzten Zustrom von Migranten zu Problemen Italiens mit Flüchtlingen erklärt habe, dass dies "Pech" für Italien sei. "Das war die Haltung Europas, als wohlhabendster Kontinent der Welt", empörte sie sich.

Der linke Europaabgeordnete Fabio de Masi sieht "Steuerflüchtlinge als die wahren teuren Flüchtlinge". Diese würden bis zu 30 Billionen Dollar in Steueroasen bunkern. "Das ist mit Verlaub eine kranke Entwicklung". Er kritisierte gleichzeitig, dass in der EU die Verhandlungen über eine schwarze Liste von Steueroasen zum "Kuhhandel gerät". (red, APA, 5.7.2017)