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Hansjörg Zauner: suggestive Wortskulpturen.

Foto: Marko Lipus / picturedesk.com

Der Titel von Hansjörg Zauners nunmehr letztem Buch ist fast schon selbst ein Text aus eigenem Recht: "99.144 gedichtnasenlöcher schießen auf mich bis alles passt" erschien im vergangenen Jahr im Verlag Ritter. Zauner, aus Obertraun gebürtig und seit vielen Jahren in Wien ansässig, entfesselte in ihm noch einmal seine rasende Sprachmaschine. In Zauners magischer Trommel fand das "oleanderblütenfeigeneis" scheinbar mühelos mit dem "wedelmopedblitzflugleoparden" zusammen. In diesem Zauberreich der Poesie war jede Aussage recht – sofern sie nur unerhört war und alltagsnahes Wortmaterial zu ungemein suggestiven Skulpturen verknetete.

Zauner, der Autodidakt aus einfachen Verhältnissen, gebot nicht unbedingt über eine Sprachtheorie, mit der er sein Tun hätte begründen können. Gewiss, er entstammte der ungefähr dritten Generation der experimentellen Literatur in Österreich. Er gehörte damit zum Pulk jener Einzelgänger, die die Erkenntnisse der Wiener Gruppe als Voraussetzung für eigene Sondierungen im Sprachland benutzten.

Bereits der Titel von Zauners erstem Gedichtband bezeichnet gut die wirksam werdende Sensibilität: "Das Falten der Zahlen, Worte, Abstände" (1986) meinte ein fröhliches Messen und Maßnehmen – hatte man nur erst akzeptiert, dass unsere Welt- und Lebensverhältnisse vorab immer schon sprachlich vermittelte sind.

In über 20 Büchern gebot Zauner über die Sprach- und Zeichenpartikel wie ein König Prospero über Geister der Luft und der Erde. Er ersann Verse von unerhörter Klangkraft und dennoch zauberisch verschwimmendem semantischem Gehalt. Zauner, dessen Hausgöttin die US-Avantgardistin Gertrude Stein war, arbeitete wie ein Besessener als ein Transformator – als poetischer Gestaltwandler, dessen Kettentexte und Sprachinstallationen noch den avanciertesten Theorien über den Erwerb und den Gebrauch von Sprache Paroli boten.

Der freundliche Litanei-Leser mit der exzentrischen roten Brille war ein Einzelgänger, der auch als Filmer und bildender Künstler bestach. Jetzt ist Hansjörg Zauner, Reinhard-Priessnitz-Preisträger 1996, völlig überraschend an den Folgen einer Hüftoperation gestorben. Er wurde gerade einmal 57 Jahre alt. (Ronald Pohl, 1.7.2017)