Die versprochene Ehe droht am überkommenen Ehrbegriff zu scheitern: Andreas Patton und Marie-Christine Friedrich als Major von Tellheim und Minna in Perchtoldsdorf.

Foto: Lalo Jodlbauer

Perchtoldsdorf – Der Siebenjährige Krieg des aufklärerischen Despoten Friedrich II. brachte unvorstellbares Leid über Preußen. Zu den an Leib und Seele Geschädigten zählt auch ein gewisser Major von Tellheim. Als gar nicht komischer Lustspielheld rettet er in Lessings Minna von Barnhelm sein verstocktes Ehrgefühl in den jungen Frieden hinüber. Minna, Tellheims vor Klugheit überfließende Verlobte, weiß mit den ehernen Prinzipien des Kriegsversehrten nicht das Geringste anzufangen.

Auf dem Komödienschauplatz der Perchtoldsdorfer Burg muss sich der so schwierig zu pazifizierende Kriegsheld (Andreas Patton) wenigstens nicht warm anziehen. Ein lauer Gewitterwind streicht über ein freistehendes Stiegenhaus (Ausstattung: Marie und Paul Sturminger). Angehörige einer versprengten Soldateska lagern nachlässig musizierend an einer rostverklebten Wand. Just (Nikolaus Barton), Tellheims plebejischer Bedienter, schlägt wie ein Teufelsaustreiber die große Trommel. Das Gespenst des Krieges ist kaum zu bannen.

Vorzügliche Entscheidungen

Regisseurin Veronika Glatzner – sie übernahm die Inszenierung vom Perchtoldsdorfer Intendanten Michael Sturminger – hat eine Reihe vorzüglicher Entscheidungen getroffen. Sie hat für Heimkehrer und Nachkriegsgewinnler eine Arche gebaut und diese als billige Absteige verkleidet. In der stürzen Männer wie Frauen treppauf, treppab. Die Figuren begegnen einander notgedrungen. Sie ziehen einander das Geld aus der Tasche und die Verlobungsringe vom Finger. Lessing erscheint plötzlich als Chronist sozialökonomischer Kämpfe aufs Messer.

Die Schiebereien der Nachkriegshalunken werden erst durch das Auftreten des Fräuleins (Marie-Christine Friedrich) und seiner puckhaften Zofe (Anna Unterberger) gebremst. Die Bediente beträgt sich nicht nur im Beisein der Herrin ungeniert. Sie arbeitet – mit Blick auf einen zu minnenden Söldner (Roman Blumenschein) – in die eigene Tasche.

Erstaunlich subtil

Minna selbst verwandelt sich in eine präraffaelitische Schönheit im Blumenkleid. Ihr Bräutigam Tellheim vermeint, seiner mit Füßen getretenen Ehre wegen keine Ehe mehr mit ihr eingehen zu dürfen. Als Minna ihn keusch am Arm fasst, bemerkt sie, dass dieser taub ist. Pattons geschmerzte Miene erzählt für einen winzigen Augenblick das ganze Stück in nuce. Es enthält in der Tat wenig Tröstliches. Es sei denn, man nimmt die Klugheit und Redlichkeit der handelnden Frauen für die eigentliche Frohbotschaft des Stückes.

Die zuerst verschmähte Braut avanciert zur Friedenserzieherin. In Wahrheit ist sie wohl zur lebenslangen Pflege eines Kriegstraumatisierten verdonnert. Ein erstaunlich subtiles Stück Sommertheater wurde freundlichst in Empfang genommen. (Ronald Pohl, 29.6.2017)