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Premier Li Keqiang bezeichnet Beschäftigung als den wichtigsten Wirtschaftsindikator.

Foto: Reuters/ALY SONG

Der als zurückhaltend bekannte Premier Li Keqiang schlug einen emphatischen Ton an. "Ich hoffe, dass ausländische Investoren bullish angesichts des chinesischen Marktes sind." Zur Eröffnung der alljährlichen China-Ablegerkonferenz des Davoser Weltwirtschaftsforums versicherte er vor 2.000 Unternehmern und politischen Repräsentanten in Dalian, dass Chinas Potenzial gigantisch bleibe. Das sei "keine Werbeveranstaltung". Er stütze seine "Argumentation auf solide Fakten."

Peking weiß, wie sehr seine Wirtschaft und ihre Anziehungskraft auf das Ausland in Verruf geraten sind. Für Schlagzeilen sorgen das verlangsamte Wachstum, eine ansteigende Binnenverschuldung, die bald bei 300 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) steht, die von allen Auslandshandelskammern beklagten schwierigen und unfairen Praktiken für ihren Marktzugang und zuletzt rüde Kapitalausfuhrkontrollen.

Bürokratie abbauen

Der Premier versprach Abhilfe. "Wir garantieren den freien Fluss der Profite, die im Land erzielt werden." Chinas Wirtschaft werde sich weiter marktwirtschaftlich öffnen. Er wolle mehr Bürokratie abbauen und werde keine massiven Stimulanzprogramme auflegen. Li deutete auch Reformen an, die Ausländern mehr Beteiligungsrechte an bisher restriktiv kontrollierten Teilen der Wirtschaft erlauben. Aber er nannte keine Details.

Im Podiumsgespräch mit Davos-Begründer Klaus Schwab war der Premier sichtlich bemüht, neues Vertrauen für Chinas Wirtschaft zu gewinnen. Peking werde nach innen wie nach außen verlässlich Kurs halten, versprach er, weiter für freien Welthandel und Globalisierung einzutreten und sich aktiv zum Klimapakt von Paris zu bekennen. Li verteidigte das nur "mittelhohe" Wirtschaftswachstum, das mit 6,9 Prozent im ersten Quartal auf seinen langsamsten Zuwachs seit 25 Jahren fiel. Kritiker würden dabei übersehen, wie stark die Leistungskraft der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt heute angestiegen ist. "Ein Prozent mehr Wachstum zählt so viel wie 1,5 Prozent vor fünf Jahren oder zwei Prozent vor zehn Jahren."

Neue städtische Arbeitsplätze

Doch der Premier gestand auch erstmals ein, was für ihn wirklich zählt. "Wir nehmen den Stand der Beschäftigung heute als unseren Schlüsselindikator, um zu beurteilen, wie es um Chinas Wirtschaft steht." In den vergangenen vier bis fünf Jahren sei es Peking gelungen, landesweit 40 bis 50 Millionen neue städtische Arbeitsplätze zu schaffen. In diesem Jahr drängten aber allein an Absolventen und Schulabgängern 13 Millionen Arbeitssuchende auf den Markt. Das erfordere "äußerste Anstrengungen".

Einen Ausweg sowohl als neuen Wachstumstreiber für die Wirtschaft wie für die Beschäftigung sieht Li in der Digitalisierung und Robotisierung der chinesischen Wirtschaft. Sie ist als Teil der "Vierten Industriellen Revolution" auch Leitthema der Dalianer Wirtschaftskonferenz.

Li sprach dabei von einem "Boom" in Chinas "Sharing Economy", bei der Eigentums- und Nutzungsrechte getrennt sind. Die neuen Wirtschaftsmodelle zur gemeinsamen Nutzung oder zum Gemeinschaftskonsum breiteten sich über soziale Netzwerke und elektronische Plattformen mithilfe von Online-Zahlungsmethoden rasend schnell aus. Als Beispiele nannte Li den Boom im Onlineshopping, die Gründung tausender Express-Lieferdienste sowie die jüngste Leihfahrrad-Revolution. Solche Experimente würden zugleich massenhaft Arbeitsplätze schaffen. Vor vier Jahren begann Lis Staatsrat auch das sogenannte Massenunternehmertums zu fördern. Inzwischen würden jeden Tag 14.000 kleine Start-ups gegründet.

Mehr Toleranz für Experimente

Voraussetzung dafür sei, dass der Staat diese Initiativen nicht totreguliert und die Bürokratie mehr Toleranz und Geduld gegenüber solchen Experimenten aufbringt. Pekings Staatsrat beschloss vergangene Woche, die "Sharing Economy", die inzwischen Leihautos und viele andere Objekte umfasst, auf andere Bereiche auszuweiten. Li verkündete, dass diese neue Wirtschaftsweise, "die von der Strategie Internet Plus ermöglicht wird, wichtig für die Absorption von Überschusskapazitäten ist und durch ihre vielen neuen Businessmodelle neue Jobs schafft."

Im Rahmen der Sitzung erinnerte er auch daran, wie wichtig eine flexible Haltung der Behörden ist. So gab es vor mehreren Jahren viel Widerstand gegen die Gründung und Verbreitung des Tencent-Weixin-Messanger-Dienstes, Chinas Pendant zu Whatsapp, der heute von mehr als 700 Millionen Chinesen genutzt wird. Der Staatsrat erlaubte das Experiment. "Sonst würde es Chinas Weixin heute nicht geben."

Der Handelsumsatz der "Sharing Economy" in China verdoppelte sich 2016 auf über 500 Milliarden US-Dollar, meldete jetzt Xinhua, 103 Prozent mehr als 2015. 600 Millionen Menschen nutzten die neue Wirtschaftsweise, und 5,85 Millionen arbeiteten für Sharing-Dienste und -Plattformen, Xinhua bezog sich auf eine Studie des Staatlichen Informationszentrums über die neue Wirtschaftsform. Sie erwartet ein jährliches Wachstum in der Sharing Economy von 40 Prozent bis 2020. Dann würde sie zehn Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt ausmachen. (Johnny Erling aus Dalian, 27.6.2017)