London – Nach der Evakuierung mehrerer Hochhäuser in London droht auch in anderen britischen Städten tausenden Menschen wegen unzureichendem Brandschutz der zeitweilige Verlust ihrer Wohnungen. Eineinhalb Wochen nach dem verheerenden Feuer im Londoner Grenfell Tower entdeckten Experten an mindestens 60 Hochhäusern in Großbritannien leicht entflammbare Außenfassaden, teilte die britische Regierung mit.

Betroffen seien nicht nur Gebäude in London, sondern auch in Manchester, Portsmouth und Plymouth. Der für Kommunen zuständige Minister Sajid Javid betonte jedoch, dass dies noch nicht bedeute, dass auch diese Gebäude evakuiert werden müssten.

An mindestens 60 Hochhäusern in Großbritannien gibt es leicht entflammbare Außenfassaden. Die Bewohner wurden evakuiert.
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Am Freitagabend hatten bereits rund 4.000 Menschen vier Hochhäuser im Norden Londons wegen Brandgefahr räumen müssen. Die Feuerwehr hatte in den jeweils 22-stöckigen Gebäuden im Stadtteil Camden erhebliche Sicherheitsmängel festgestellt: etwa brennbare Fassaden, Fehler bei der Isolierung von Gasleitungen und das Fehlen von Brandschutztüren. Die Arbeiten an den geräumten Gebäuden werden drei bis vier Wochen dauern, wie Georgia Gould vom Bezirksrat sagte. Etwa 650 Wohnungen sind den Angaben zufolge betroffen. Javid sagte der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge, diese Wohnungen seien geräumt worden, weil eine Vielzahl an Sicherheitsmängeln festgestellt worden seien.

"Vorsichtsmaßnahme"

Londons Bürgermeister Sadiq Khan schrieb auf Facebook von einer "Vorsichtsmaßnahme" und bezeichnete die Räumung als den besten Weg, um die Bewohner zu schützen. Premierministerin Theresa May hatte nach dem Brand des Grenfell Towers angekündigt, dass täglich etwa 100 Hochhäuser im Land überprüft werden. Der Rat von Camden teilte mit, alle Bewohnern dürften in Begleitung von Feuerwehrleuten noch ihre Habseligkeiten aus den Wohnungen holen. Der Hochhaus-Komplex soll nach einem BBC-Bericht von 2006 bis 2009 von derselben Firma saniert worden sein wie der Grenfell Tower.

Die Betroffenen verbrachten die Nacht in Notunterkünften, Hotels oder bei Freunden. Mehr als 80 Bewohner weigerten sich allerdings, ihre Wohnungen zu verlassen. In Interviews sprachen einige Bewohner von einer Überreaktion. "Zwei frühere Brände in diesem Hochhaus sind doch leicht in Schach gehalten worden", sagte ein Familienvater. Ein 94-Jähriger berichtete den Journalisten, dass er nicht ausreichend Tabletten mit sich genommen habe. "Ich habe für so etwas nicht mehr die Kraft."

Nach Ansicht des Chefs der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, sollte May eine Krisensitzung einberufen. Nur so könnten Maßnahmen gegen den unzureichenden Brandschutz besser koordiniert werden. Es handle sich um eine "landesweite Bedrohung".

Defekter Kühlschrank

Ein defekter Kühlschrank hatte laut Scotland Yard das Feuer am 14. Juni im Grenfell Tower entfacht. Der Brand griff an der Außenfassade entlang rasch auf den ganzen 24-stöckigen Sozialbau über. Mindestens 79 Menschen kamen bei dem Brand ums Leben. Die Ermittler erwägen eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung. Man sehe sich alle Unternehmen an, die am Bau und an der Sanierung des Grenfell Towers beteiligt gewesen seien, hieß es. (APA, 25.6.2017)