Der Olympier und der klassische Philologe im österreichischen Parlament vor der Generalsanierung: Kriegsgott Ares mit dem für ihn typischen Helm und Karlheinz Töchterle.

Foto: Heribert Corn

Ares in voller Pracht und von vorne.

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Der Chef des olympischen Götterhimmels, Zeus. Ihm gegenüber steht im oberen Vestibül des Parlaments sein Bruder Poseidon.

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Der Gott des Meeres, Poseidon, ist dargestellt mit einem Dreizack, oben ein Ausschnitt eines Freskos.

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Karlheinz Töchterle, klassischer Philologe, Ex-Rektor, ehemaliger Wissenschaftsminister und parteiunabhängiger Abgeordneter für die ÖVP.

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Götterbote Hermes mit den geflügelten Schuhen.

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Hera mit der Opferschale in der Hand.

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Wien – Salvete in aedibus altis! Willkommen im Hohen Haus, solange es noch geht. Denn ab 16. August wird dort für voraussichtlich drei Jahre die wohl symbolträchtigste Baustelle der Republik eröffnet. Im "Herzen der Demokratie", dem Parlament, wird dann nicht mehr die Sitzungsglocke der Nationalratspräsidentin erklingen, sondern Hammer, Schlagbohrer und Co werden den Ton angeben. Nach gut 130 Jahren braucht der Prachtbau an der Ringstraße eine Generalsanierung.

Vorher muss der gesamte Parlamentsbetrieb umgesiedelt werden ins Ausweichquartier in der Hofburg, dann gehört das Parlament den Bauarbeitern. Etwaige Sondersitzungen bzw. die Herbstsitzungen des Nationalrats finden ab 16. August im Redoutensaal statt.

Der Wappenadler ist dort bereits gelandet, wenngleich nur eine Kopie, weil die Übersiedlung des Originals aus dem Nationalratssaal zu aufwendig und zu teuer gewesen wäre. Der Staatsvogel aus geschmiedetem Stahlblech ist dafür zu groß (4 x 2,8 Meter) und zu schwer (650 Kilogramm). Er bleibt im Hohen Haus und wird wie dieses auch renoviert.

Der Götterhimmel von Wien

Zurück auf der prominenten Baustelle bleiben auch die Göttinnen und Götter im oberen Vestibül, wo in den Nischen kunstvolle Statuen von zehn der zwölf Götter des Olymps residieren. Angeführt von Zeus, ihm gegenüber sein Bruder Poseidon, der Herr des Meeres. Ihnen zur Seite Kriegsgott Ares und Artemis, die Göttin der Jagd, Demeter, die Fruchtbarkeitsgöttin mit einem Ährenbündel in der Hand, Hera trägt eine Opferschale, Götterbote Hermes hat geflügelte Schuhe, Hephaistos ist der Gott des Feuers und der Schmiedekunst, dazu der jugendschöne Gott Apollon und Athene, nicht nur Göttin der Weisheit, sondern als Schutzgöttin Athens oft – so auch im Parlament – in Rüstung dargestellt. Zeus-Schwester und Liebesgöttin Aphrodite sowie Zeus-Tochter Hestia, die Göttin des Hauses, fehlen im Wiener Götterhimmel zum vollständigen olympischen Dutzend.

Ein Abgeordneter hat einen besonderen Bezug zu dieser Antikensammlung: Karlheinz Töchterle, Uniprofessor für klassische Philologie, der sich also sein Leben lang mit den "klassischen" Sprachen Latein und Altgriechisch beschäftigt, und wie kein anderer Abgeordneter von dem "erhebenden Gefühl angesichts der unglaublichen Fülle an Antikem hier im österreichischen Parlament" schwärmen kann.

Ein Stoiker tut sich sogar die Politik an

Seit Oktober 2013 sitzt Töchterle als Parteiunabhängiger für die ÖVP im Nationalrat, davor war er mehr als zweieinhalb Jahre Wissenschaftsminister, dessen Amt im Kabinett Faymann II vom damaligen ÖVP-Chef Vizekanzler Michael Spindelegger quasi für überflüssig erklärt wurde, indem man die Wissenschaftsagenden mit dem Wirtschaftsministerium fusionierte. Ein damals nicht nur von der Scientific Community, sondern auch von Töchterle kritisierter, unfreundlicher Akt, den er aber mit stoischer Großmut hinnahm. Immerhin sagte er in einem STANDARD-Interview zum Thema Glück einmal: "Der Stoiker tut sich alles an – auch die Politik."

Die Frage, welcher Olympier ihm am nächsten ist, beantwortet Töchterle mit einer klaren Präferenz: "Hephaistos, der Gott mit dem Schmiedehammer, vermutlich eine Szene aus Homers Ilias, wo er für Achill eine neue Rüstung schmieden muss." Das Schmiedehandwerk ist dem Tiroler vertraut, war doch sein Vater Schmied, der dem Sohn "auch ein bisschen Schmiedekunst beigebracht hat".

1600 Räume, 920 Fenster

Wer mit Töchterle durch das zwischen 1874 und 1883 nach Plänen des dänischen Architekten Theophil Hansen errichtete Parlamentsgebäude mit seinen 1600 Räumen und 920 Fenstern im Stil eines attischen Tempels flaniert, sieht staunende Freude über "eine derartige Massierung von Antike". Sei es "die typische Säulenabfolge, unten dorisch, dann ionisch, oben korinthisch, stilprägend für das Kolosseum in Rom, aber sogar in New Orleans habe ich das gesehen", erzählt er, oder die Wandmalereien im Budgetsaal, die "ein pompejianisches Muster in allerhöchster Kunstfertigkeit" zeigen.

Die ohnehin nur kurzzeitig aufgeflackerte Idee, doch gleich ein neues, "modernes" Parlament irgendwohin auf die grüne Wiese zu stellen, ist für jemanden, der mit Töchterles Blick auf den neoklassizistischen Bau mit den hunderten Figuren, Reliefs, Mosaiken und anderen Zeugnissen "höchster Bildhauerkunst" sieht, undenkbar: "Das wäre eine Sünde!"

Was aber – abgesehen von den Kulturschätzen – ist denn von der antiken Demokratie für heute noch von Relevanz? Theophil Hansen sagte 1874 zur Skizze des Parlaments, das er den Österreichern bauen wollte: "Die Hellenen waren das erste Volk, welches die Freiheit und Gesetzmäßigkeit über alles liebte, und ihr Stil ist auch derjenige, welcher neben der größten Strenge und Gesetzmäßigkeit zugleich die größte Freiheit in der Entwicklung zulässt."

"Hermetische" Demokratie

Die Idee der Freiheit als zentrales Element einer demokratischen Gesellschaft fällt auch für Karlheinz Töchterle unter "einige bedeutende Pionierleistungen" der alten Griechen, wenngleich er einräumt, dass die damals praktizierte Demokratie "sicher hermetisch" war, weil nur "Vollbürger" diskussions-, stimm- und wahlberechtigt waren, Frauen, Sklaven und Metöken (ortsansässige Fremde) blieben ausgeschlossen.

Dennoch: "Freiheit scheint ihnen tatsächlich sehr wichtig gewesen zu sein" – vor allem im Sinne einer "Sehnsucht, nicht beherrscht zu werden", erklärt der Antikeexperte: "Deswegen wurde die Demokratie mit so wenig dauernden Befugnissen ausgestattet." Macht wurde nur in höchst überschaubaren Dosen vergeben: "Das Annuitätsprinzip war sehr wichtig." Die meisten politischen Funktionen oder wichtige Staasämter wurden nur für ein Jahr vergeben, dann wurde gewechselt.

Ein Prinzip, das angesichts der "sklerotischen Entwicklung, die wir miterleben, wo vieles einbetoniert ist, durchaus interessant scheint", meint Töchterle. "Die Klage, dass nichts weitergeht, ist natürlich ein Topos", sagt er, sei also ein leerer Gemeinplatz: "Aber auch ich sehe Versteifungen, die auch durch die Dominanz von SPÖ und ÖVP entstanden sind, weil sie mit ihrem aus Parteisicht plausiblen Machtstreben vieles mit Strukturen durchwirkt haben, von Autofahrerklubs bis zu Pensionistenvereinen."

Senecas "Phädra" wartet

Er selbst will nicht im Amt versteinern, mit 68 tritt er nicht mehr zur Wahl an. Auf ihn wartet selbst auferlegte Arbeit, die ihn wieder in die Antike führen wird. Er möchte Senecas Phädra übersetzen – und dazwischen ab und zu mit den zwei achtjährigen Enkeln Jonas und Alexander Fußball spielen. Nicht ohne vorher angemessen Abschied zu nehmen vom Hohen Haus: "Valete, aedes altae!" (Lisa Nimmervoll, 24.6.2017)