Auch Maschinen müssen sprechen lernen – ein zukunftsträchtiges Berufsbild für Sprachwissenschafter. Eine neue Jobbezeichnung – Chief Linguistic Officer – ist schon gefunden.

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Wer seinen Kommilitonen verrät, er studiere Sprachwissenschaften, erntet meist skeptische Blicke. Was man damit einmal machen wolle, lautet der Einwand, manche unken, dann könne man mit einem Master in der Tasche gleich Taxi fahren. Die Berufsaussichten für Germanisten im Speziellen oder Philologen im Allgemeinen waren lange nicht rosig. Entweder man ergriff den Lehrerberuf, oder man hangelte sich von Praktikum zu Praktikum und ergatterte mit etwas Glück eine Stelle als Lektor in einem Verlag oder Redakteur bei einer Zeitung.

Das könnte sich bald ändern. Durch die Automatisierung, von der es zuweilen heißt, dass sie im Saldo Arbeitsplätze vernichte, könnte der Bedarf an Sprachwissenschaftern steigen. Der Grund: Maschinen müssen sprechen lernen.

"Chatbots need help"

Start-ups wie Mezi, Magic oder GoButler, die Chatbots – Computerprogramme zur Beantwortung alltäglicher Fragen und Bestellungen – entwickeln, suchen neben Programmierern auch Linguisten. Der Entrepreneur Tobias Goebel startete auf der Karriereplattform Linkedin einen Hilferuf ("Calling All Linguists: The Chatbots Need Help"). Virtuelle Assistenten missverstehen zum Teil einfache Sprachkommandos. Wenn man zu Google Voice Search "Hallo" beziehungsweise "Hello" auf Englisch sagte, erwiderte es die Begrüßung nicht, sondern schickte einen Link zu Adeles Song Hello.

Auch einfache Dinge wie Reiseziele vermögen Chatbots zuweilen nicht aus Satzbausteinen herauszulesen. "Leider", schreibt Goebel, "haben die Ingenieure, die viele der textbasierten Bots entwickelt haben, die Welt der Programmiersprachen studiert, die das direkte Gegenteil natürlicher Sprache ist: Es gibt keine Bedeutungsambivalenzen, Klarheit und einfache Syntax."

Kreative in die Tech-Konzerne

Laut Google sollen bis 2020 50 Prozent der Suchanfragen per Sprachbefehl erfolgen. Um die Sprachsoftware zu optimieren und vor allem zu internationalisieren, heuern Tech-Konzerne wie Google oder Facebook reihenweise Sprachwissenschafter an. Amazon schrieb kürzlich zur Entwicklung seiner Sprachsoftware Alexa für seine Netzwerklautsprecher Echo und Dot eine Stelle für einen isländischen Linguisten aus. Alexa soll auch Isländisch lernen. Zum Jobprofil gehören neben soliden Kenntnissen der Phonetik und Muttersprachlerniveau auch die Fähigkeit, phonetische Transkriptionen zu kreieren.

Unterdessen finden auch zunehmend Angehörige kreativer Berufe wie Drehbuchautoren, Ghostwriter, Comedians und sogar Poeten ein neues Betätigungsfeld in den KI-Schmieden der Tech-Konzerne. Die sonst eher zurückhaltende Washington Post, die 2013 von Amazon-Chef Jeff Bezos für 250 Millionen US-Dollar übernommen wurde, titelte: "The next hot job in Silicon Valley is for poets" ("Der nächste heiße Job im Silicon Valley ist für Dichter"). Das Ziel: Die automatisch generierten Antwortsätze von Chatbots oder Netzwerklautsprechern sollen nicht mehr dröge und roboterhaft daherkommen, sondern intelligent und unterhaltsam. Und dafür braucht es das Know-how kreativer Köpfe, die imstande sind, der künstlichen Intelligenz Humor beizubringen.

Neue Berufsbezeichnungen

Inzwischen gibt es sogar die Berufsbezeichnung des "Chief Linguistic Officer" (CLO), eine Managementposition, die nicht für Sprachregelungen im Unternehmen zuständig ist, sondern für die Entwicklung der Sprachsoftware. Caterina Balcells, die den Titel des Chief Linguistic Officers bei der Technologiefirma Inbenta innehat, sagte dem PortalCio.com: "Linguistik ist wichtig, um die Nutzer und ihre Art, wie sie mit einem Unternehmen kommunizieren, besser zu verstehen. Wenn wir eine Technologie entwickeln können, die die Verarbeitung natürlicher Sprache (Natural-Language-Processing) nutzt, um Kunden zu helfen, wonach sie suchen, reduziert man dafür den Personalbedarf und verbessert gleichzeitig die Kundenzufriedenheit."

Die Anwendungsfelder sind mannigfaltig: Spracherkennung, Sprachsteuerung, Übersetzungsprogramme. Die Herausforderung besteht darin, menschliche Konversationen zu typisieren und in Programmierbefehle zu übersetzen. Dafür braucht es Programmierer wie Sprachwissenschafter gleichermaßen. Eine "Killer-Kombination" nannte Balcells, die selbst einen linguistischen Hintergrund mitbringt, diese Kooperation.

Ein sprachwissenschaftliches Studium muss keine Sackgasse sein. Schon Apple-Legende Steve Jobs dozierte, dass Technologie allein nicht reiche. "Es ist die Schnittmenge von Technologie und Geisteswissenschaften, die unsere Herzen zum Singen bringt", sagte er einmal poetisch. Durch die Automatisierung könnten sich für Geisteswissenschafter neue Perspektiven auftun. (Adrian Lobe, 27.6.2017)